Und schon wieder dran vorbeigefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es überraschende neue Architekturen. Und schöne ältere Bauten, die jeder zu kennen glaubt, obwohl kaum einer je dort angehalten hat. Wir haben sie besucht. Straßenrandperle #7
Objekte Altes Passionsspielhaus und Neues Festspielhaus / Ort Mühlgraben 56a, A-6343 Erl / Koordinaten N 47° 40.390’ E 012° 10.260’/ Bauzeit 1956-59 und 2010-12 / Bau-Grund 1956 Wir zeigen es den Oberammergaunern! / Bau-Grund 2010 Wir zeigen den Münchnern, wie man ein Konzerthaus baut! / Aktuelle Nutzung Tiroler Festspiele im Sommer 2017 und im Winter 2017/18; nächste Passion 2019; Einzeltermine übers Jahr / Öffnungszeiten und Tickets www.tiroler-festspiele.at ; www.passionsspiele.at / Schönster Augenblick Zur blauen Stunde
Warum man immer dran vorbeifährt: Reine Nervosität. Man ist schon fast in Österreich, hat aber immer noch kein Pickerl für die kostenpflichtige Autobahn gekauft. Noch fünf Kilometer, dann ist es strafbar. (Außerdem war früher die Sicht ganz frei – heute baut sich nach einem superkurzen Blick auf die Architekturjuwelen gleich der Lärmschutzzaun auf.)
Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss! Um am Karfreitag (14.April) die Matthäuspassion oder im Juli ein Konzert der Tiroler Festspiele zu genießen. Das Programm zwischen Kammermusikabend und großer Oper reicht von Beethoven bis Mozart und Rossini. Und vor allem gibt es VIEL Wagner. Den Ring und mehr. Aber eigentlich muss man schon allein wegen der Architektur hin. Der größte Schatz des weißen alten Passionsspielhauses ist die gebogene Lochfassade aus Sichtbeton. Erl gehört neben Oberammergau zu den ältesten Passionsspielorten der Welt. Die Tradition ist seit 1613 nachweisbar. Bei den Spielen wirkt alle sechs Jahre das ganze Dorf mit. Und für das 1933 abgebrannte Haus wurde in den 1950ern ein couragiertes neues Theater im Zeitstil erbaut. Unwillkürlich ertappt man sich dabei, wie man nachguckt, ob nicht doch irgendwo Le Corbusier als Architekt vermerkt steht… Aber nein, der hieß Robert Schuller und war in Innsbruck Schüler von Clemens Holzmeister. So wie der Bau von 1956 eine kleine Sensation für das alpine Mitteleuropa der Wirtschaftswunderzeit darstellte, wurde dies auch das neue Festspielhaus, ab 2010 von den Wiener Architekten Delugan Meissl gleich daneben errichtet. Die 1997 gegründeten Tiroler Festspiele hatten ein gut geheiztes Domizil für ihre zweite Jahreszeit gebraucht – die Winterfestspiele. Durch den 36 Millionen Euro teuren schwarzen Diamanten, der das Festspiel-Duo nahe Kufstein nun optisch zum Yin und Yang der Musikwelt macht, emanzipierte sich Erl weiter von den Musikmetropolen München, Salzburg und Wien. Nicht nur architektonisch, sondern auch was die Superlative angeht: Das neue Ufo hat den größten Orchestergraben der Welt. So werden die nächsten Jahre Musik- und Architekturpilger aus aller Welt und vor allem aus München hierher in die alpine Provinz kommen. Um zu bewundern, wie man – ganz ohne großen Terz – so ein Konzerthaus baut.
Wie man hinkommt: Von der A 8 München – Salzburg beim Inntaldreieck auf die A 93 Richtung Kufstein abbiegen. Ausfahrten Nußdorf/Brannenburg oder Oberaudorf/Niederndorf. Mit dem Auto liegt Erl von München, Salzburg und Innsbruck jeweils grob nur etwa 45 Minuten entfernt.
(copyright für Idee, Text und Fotos: Alexander Hosch & Sabine Berthold)