Die perfekte Welle von Nizza

#14                   Und schon wieder dran vorbeigefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es tolle neue und alte Architekturen, die jeder zu kennen glaubt. Obwohl kaum einer je dort angehalten hat. Wir haben sie besucht. 

Objekt Allianz Riviera Stadion / Ort Boulevard des Jardiniers, F-06200  Nizza / Koordinaten N 43° 42´ 18,3´´, O 7° 11´ 33,5´´ / Bauzeit 2011-2013 / Bau-Grund Fußball-EM 2016 / Aktuelle Nutzung Fußballstadion des OGC Nice, Rugbystadion des RC Toulon & Sportmuseum Musée nationale du sport / Öffnungszeiten …siehe Museumswebsite – sonst nur zu Spielen, Konzerten und den 75-minütigen Führungen, www.ogcnice.com; www.museedusport.fr / Schönster Augenblick  Ständig (nach dem Spiel ist vor dem Spiel)

Warum man immer dran vorbeifährt:  Die Sonne scheint. Man hat die Skischuhe an. Und der Ski-Bus, der einen zu den Liften der sonnenüberfluteten Frühlingshänge von Isola 2000 in den Südalpen bringen soll, will am surreal vorbeiwischenden Stadion einfach nicht anhalten. Obwohl der Fahrer schon seit einer Minute von allen Seiten gerüttelt und geschüttelt wird …

Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss:  Um zu verstehen, wie so ein klimaneutrales Stadion für 35.000 Menschen funktioniert. Die Arena von Nizza liegt in einem ausgewiesenen Ökogebiet, dem sogenannten Eco Vallée. Man kann es sehr einfach auch ohne Auto erreichen. Die 4000 Solarplatten auf dem Dach erzeugen mehr sauberen Strom als das Stadion von Architekt Jean-Michel Wilmotte selbst verbraucht. Der Hybridbau aus Stahl, Holz und Beton schafft mit diversen Umweltgimmicks sogar Plusenergiestandard. Und im integrierten nationalen Sportmuseum, das ein bisschen wie „unters Stadion geschoben“ aussieht, gibt es sogar eigene Programme für Babys und für Kleinkinder. Momentan und noch den ganzen Sommer über bereitet die zusammen mit dem Louvre erarbeitete Schau „Victoires“ die Besucher schon auf die Olympiade 2024 in Paris vor.

Die transluzenten ETFE-Module der Fassade erinnern übrigens ein wenig an die Münchner Allianz Arena von Herzog & de Meuron, die den selben Sponsor hat. In Nizza sind die einzelnen Kunststoffpaneele aber nicht wie Rauten geformt. Und alle zusammen sehen dort wie eine riesige Welle aus Schaum und Wasser aus. Naja, dieses Stadion wogt ja auch quasi direkt neben dem Mittelmeer.

Wie man hinkommt: Die Arena liegt supernah am Flughafen Nizza. Aus der Stadt fahren Busse und Trams hin, aus den nahen Strandorten Züge.

copyright für Idee, Text und Fotos: Alexander Hosch & Sabine Berthold

 

300 Tage Sonne

Es war ja so was von angesagt: Bikini-Skifahren… Und einer von mehreren verrückten Gründen, warum die Skistation Isola 2000 vor knapp fünfzig Jahren Kult wurde. Die Stars flogen vor allem aus Swinging London ein. Dann versüßten sie sich ihre Osterferien am Mittelmeer mit einem Skiwochenende in den Südalpen. Wo? Nur eine Stunde weg von Nizza, am Rand des Mercantour-Nationalparks an der Grenze zu Italien. Zu Beginn kamen Roger Moore und Beatles-Drummer Ringo Starr. In den Eighties waren Regisseur Luc Besson und Rocker Bono Vox von U 2 die besten Isola-Promis. Oder Autorennfahrer wie Alain Prost und Gilles Villeneuve, die auf der Eispiste um die Wette fuhren.

Lohnt der Trip heute noch? Und wie. Prinzessin Stéphanie von Monaco verbringt hier angeblich immer noch jedes Jahr schöne Tage im Schnee. Doch vor allem ist das schneesichere, 2000 Meter hoch gelegene Winterziel inzwischen für jedermann leicht erreichbar. Fahrtdauer mit dem Linienbus von Nizza oder Nizza-Flughafen: 60 Minuten (Preis: ein Euro).

Von ganz oben kann man dann sogar an ein, zwei Stellen mit dem Skistock aufs Meer hinunterdeuten. Hotels, Clubs, Bars, Pools im Freien – all das gibt es in Isola 2000. Englische Investoren eröffneten das neue Wintertraumziel an Weihnachten 1971. Die Besitzer wechselten oft, aber die Höhepunkte sind – wichtig für die Gäste – alle noch da: Vor allem Sonne und Schnee, die zwei wichtigsten Accessoires von Isola 2000, treten verlässlich von November bis Ende April als Duett auf. Und das Panorama an der Bergstation des Sistron-Lifts, von wo aus man das Meer sieht, ist praktisch unzerstörbar.

Dass tatsächlich einst viele in Badesachen durch den Schnee brausten, passte zum Stil der Zeit. Bis in die Französischschulbücher schafften es in den Siebzigerjahren die glamourösen Ski-Models ohne Overall – und die Männer mit Badeshorts und gebräunten Sixpacks. Es war eine andere Skigalaxie. Nackte Haxen in Skischuhen gab es zwar auch im Engadin und in Lech. „Aber nirgends war es so sonnig wie bei uns“, sagt der frühere Skirennläufer Eric Morisset, dessen Familie in Isola den Skiverleih führt. In Lucs Laden hängen zum Glück die verführerischen Fotos von anno dazumal noch als Plakatwand, so dass wir auch heute über Autorennen auf der Eispiste und Skilehrer in Orange staunen können.

Heute zahlt der Gast in Isola 2000 für das Sonnenskitagesticket maximal 35 Euro. Auf 120 Pistenkilometern verkehren bis 19. April 35 Skilifte. Es gibt drei schwarze, elf rote, 21 blaue und sieben grüne Pisten zwischen 1800 und 2650 Metern (plus Snowpark). Pausenspaß bei Rotwein, Pizza oder Entrecôte lockt im angesagten Cow-Club, wo schon im Dezember elegante Tagesgäste von der Riviera pausieren. Zu manchen Restaurants kann man nachts im Motorschlitten-Taxi brausen. Zimmer und Appartements sind in Isola 2000 eher günstig. Zugegeben: Man muss ein bisschen verrückt sein… Ist das aber der Fall, dann spricht an Ostern wirklich gar nichts dagegen, auf zwei Strandtage noch zwei Pistentage zu setzen.

Text: Alexander Hosch

Nietzsches Weg nach oben

img_8912

Man vergisst oft, dass die Alpen bis ans Mittelmeer reichen. Hier aber nicht, dafür ist es zu steil. Der Aufstieg von Èze-Bord-de-Mer direkt an der Côte d´Azur nach Èze-Village in den Felsen darüber wurde 1883 durch Friedrich Nietzsche veredelt. Er beflügelte den Philosophen zum Finale vignette_alpenstaunenseines berühmtesten Werks. „Ich bin ein Wanderer und ein Bergsteiger“, verkündet sein Zarathustra zu Anfang des dritten Teils, „ich liebe die Ebenen nicht.“ Also hinauf! An der Côte, wo Nietzsche zwischen 1883 und 1887 fünf Winter verbrachte, wurde das malerische zweigeteilte Dorf zwischen Nizza und Monaco sein Lieblingsort. Die südlichen Felsen der Alpes-Maritimes steigen über Èze dramatisch auf 700 Höhenmeter an. Dort wanderte Nietzsche vom Bahnhof unten am Meer immer wieder in den mittelalterlichen Ortsteil hinauf – stets den gleichen Pfad wählend. Und beobachtete, wie das Gehen sein Denken veränderte. Wie der Aufstieg die Gedanken erhitzte. Und gleichzeitig klärte.

Natürlich haben sie in Èze den paradiesischen Pfad zwischen Palmen, Kräutern, Büschen, Felsen, Himmel und Mittelmeer längst nach dem hier img_8935schöpfenden deutschen Dichter benannt. So kann der Spaziergänger, wenn er denn will, den eineinhalbstündigen Aufstieg ganz als Ausflug in die nietzscheanische Seelenlandschaft zwischen Erhabenheit und Unendlichkeit erleben. Andere werden vielleicht lieber die Prunkvilla des Stabhochsprungweltrekordlers Bubka am Wegesrand bewundern. Oder ganz oben das Superluxushotel Château Chèvre d´Or  betrachten, in dem hier immer die Promis absteigen. Wenn schon, das stört keinen großen Geist.

Wie sprach nochmal Zarathustra? „Und was mir nun noch als Schicksal und Erlebnis komme, ein Wandern wird darin sein und ein Bergsteigen: man erlebt endlich nur noch sich selbst.“ Klingt eigentlich recht bodenständig und gemittet. Womöglich hat der bergsteigende Nietzsche da in Èze, bevor er dies schrieb, einfach die Frühform eines echten Flow erlebt. Alexander Hosch

Chemin de Nietzsche, 06360 Èze, Côte d´Azur, Alpes-Maritimes, Info: Tel. +33 4 93 41 26 00, www.eze-tourisme.com

img_8919
Klar, man könnte durch die Alpen ganze Nietzsche-Pfade hauen! Von Sils Maria im Engadin bis an die Côte d´Azur, wo er überall dichtete,. Und weiter durchs Piemont nach Turin, wo ihn ab 1889 der Wahnsinn umnachtete. Am schönsten ist es auf dem Chemin de Nietzsche in Èze, hier der Blick nach unten und auf den Horizont.