Buntpapier und Schwarze Kunst

Tierskulpturen vor Museen gehen immer. Das Guggenheim Bilbao würde wohl auch ohne Jeff Koons‘ „Puppy“ seine Sogwirkung entfalten, doch im kleinen Bassano del Grappa kann ein Eyecatcher gar nicht hell genug scheinen, um auf verborgene Schätze aufmerksam zu machen. So glänzt das stahlgepanzerte „King Kong Rhino“ des chinesischen Künstlers Li-Jen Shih verführerisch vor dem Museo Remondini in der Sonne. Seine Präsenz mahnt aber auch den Schutz der bedrohten Art an und ist zugleich eine tiefe Verneigung vor Albrecht Dürers „Rhinocerus“. Denn diese Ikone des Renaissance-Genies ist nur eines von vielen Highlights der Remondini-Sammlung, die 8500 Druckgrafiken europäischer Meister wie Lucas van Leyden und Hendrick Goltzius, Paolo Veronese oder Jacopo Tintoretto umfasst. Mit 214 Werken von Dürer, etwa dem vollständigen Holzschnittzyklus zur „Apokalyse“, zählt die Kollektion auf diesem Gebiet zu den größten und qualitätvollsten der Welt.

Im eleganten Palazzo Sturm am Ufer des Brenta lässt sich ein Eindruck gewinnen von der Grandezza dieser Sammlung, die ihre Preziosen aus konservatorischen Gründen nur turnusmäßig dem Licht aussetzt. Doch die Präsentation macht’s! Gerade sind einige Kupferstiche nach Porträts von Anthonis van Dyck hinter den Türen der hölzernen Grafikschränke arrangiert. Öffnen ausdrücklich erwünscht.

Wer waren eigentlich diese Remondini, die den voralpinen Ort 50 km nordwestlich von Venedig mit ihren Druckwerken Mitte des 17. Jahrhunderts auf die Weltkarte des Handels setzten? Vor allem: kluge Geschäftsleute, innovative Unternehmer und gewiefte Sammler. Mit Schul- und Gebetsbüchern sowie Ritterromanen und höfischen Dichtungen, die als lose Blätter verkauft wurden, begründete Giovanni Antonio Remondini den Ruhm dieses frühen Medien-Imperiums.

Insbesondere macht er sich Schwärme von fliegenden Händlern aus dem Tessin, der Region um den Gardasee und der Slavia Veneta zunutze, welche die Buchbinderartikel und Druckerzeugnisse zunächst in Deutschland und Italien vertrieben. Ab dem frühen 18. Jahrhundert brachten sie sie über Spanien und Portugal nach Übersee und ostwärts bis Sibirien.

Ab 1730 wurde das Sortiment um Buntpapiere für Spiele und die Dekoration von Wänden wie Möbeln erweitert. In der dritten Generation, unter der Ägide von Giambattista Remondini, avancierte der Familienbetrieb zum größten Verleger und Drucker in Italien. Mit den Napoleonischen Kriegen und dem Niedergang der Republik Venetien versiegte die Fortüne dieses europäischen Leuchtturmunternehmens, das sich 1861 schließlich auflöste.

Im Palazzo Sturm wird die bewegte Firmengeschichte mittels plakativer Exponate aufgerollt. Da gibt es Vier-Zylinder-Maschinen, die den manuellen Druck ablösten und 5000 Bögen pro Stunde ausspuckten. Beidseitig mit kuriosen Bildern bedruckte Fächer, sogenannte Ventarole, ohne die damals Konversationen schnell erlahmten. Charmesprühende, seriell auf Papierbögen gebrachte Chinesi-Motive, die zur Verzierung von Objekten und Möbeln verwendet wurden, um teure Lack-Chinoiserien zu imitieren. Als Vue d‘optique bezeichnete Grafiken in perspektivischer Darstellung, die für den Guckkasten und den Zeitvertreib lange vor der Erfindung des Kinos bestimmt waren. Und natürlich Papiertapeten, Goldbrokatpapiere, Bronzefirnispapiere, zu deren Herstellung die Remondini die besten Handwerker aus Deutschland anheuerten.

Diese bunte Vielfalt lässt die Besucherinnen und Besucher schnell vergessen, dass die kostbarsten Blätter der Schwarzen Kunst leider die meiste Zeit gut geschützt im Depot schlummern müssen. Dem stählernen Panzernashorn auf dem Belvedere des Palazzo Sturm hingegen kann Tageslicht nichts anhaben.

Text und Fotos © Alexandra González

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