Weihnachtsfantasien in 3-D

Wie ein gut entwickelter Säugling, der gerade lernt, sich zu drehen und die Welt zu erkunden, greift das Jesuskind mit dicken Fingerlein nach dem schlichten Holzkreuz. Vor Anstrengung glühen seine Pausbäckchen rosig. Meine Freundin R. hatte die entzückende Idee, sich und uns an ihrem Geburtstag mit einer Führung durch die Krippensammlung des Bayerischen Nationalmuseums zu beglücken. Also tauchen wir tief in den kulturellen Kontext ein und können es kaum fassen: Christkindl dieser Art wurden Novizinnen beim Eintritt in das Kloster mitgegeben,  als „Seelentrösterle“, „Himmelsbräutigam“, dessen Nacktheit meist keusch unter einem reich bestickten Seidengewand verschwand, oder gar als Babyersatz.

Einige Vitrinen weiter vollführt ein Schwarm von Epheben, nichts als ein Musselintuch um den kaum erwachsenen Leib gewickelt, ein expressives Ballett.  Ein verfrühter Beitrag zu Gender Studies, dies? Reichlich individuelle Lesarten der Weihnachtsgeschichte bietet die Schau im Bayerischen Nationalmuseum an der Münchener Prinzregentenstraße, die noch bis Ende Januar zu besichtigen ist. Vielleicht ist das Schönste an diesem Reigen, dass die Schöpfer der himmlischen Szenografien die Leerstellen im Narrativ mit ihrer ungezügelten Fantasie füllten.

Das Konzept dieser enorm bedeutenden Sammlung von Krippen aus dem Alpenraum und Süditalien der Zeit um 1700 bis zur Moderne geht zurück auf ihren Stifter Max Schmederer (1854 – 1917), Münchner Bankier mit Mission. Er hatte eine sehr präzise Vorstellung von der Aufstellungsart, die stilbildend wurde. Bevor er seinen Schatz der Institution schenkte, machte er jedes Jahr zur Adventszeit den Pulk kunstvoll geschnitzter oder geformter und ausstaffierter Figurengruppen sowie die vielen stimmungsvollen Schaubilder in seinem Privathaus öffentlich zugänglich.

Während die neapolitanischen Krippen mit farbig gefassten Figuren und einer dramatischen Lichtführung in den Dioramen oft wie ins Dreidimensionale gesteigerte Gemälde Caravaggios anmuten, bezeugen die alpenländisch inspirierten Szenen Sinn für hintergründigen Humor. Im vogelwilden Wimmelbild, für das Wenzel Fieger um 1890  über 1000 auf Karton aquarellierte und ausgeschnittene Protagonisten in einem vier Meter langen Moosgebirge verankerte, versuchen wir, eine sich im Strahl erleichternde Kuh auszumachen. Da ist sie, und wie frech sie über die Schulter blickt!

In einer Krippe aus Nordtirol, die Mitte des 18. Jahrhunderts entstand, verfolgt ein Almbauer im Lodenmantel mit hölzerner Buckelkraxe aufmerksam die „Verkündigung an die Hirten“. Und jetzt schaut’s her, der „Krippenjackl“ aus Laufen an der Salzach besitzt ein zweites Gesicht: Mal freundlich lächelnd, mal zur Fratze verzerrt. So oder so lässt sich der Januskopf dieser Trachtenpuppe nach Belieben austauschen. Der reinste Horror, da wird es nicht nur den mitgebrachten Kindern angst.

Schließlich eine Epiphanie für die Architekturaffinen unter uns. Wer hätte gedacht, dass ein kleiner Gerbermeister vor 200 Jahren in Bozen die Postmoderne vorwegnahm? Karl Sigmund Moser schuf aus Palästen im Stil Palladios, osmanischen Kuppelbauten, barocken Brunnen, Arkaden, Treppenaufgängen und neogotischen Spitzbögen die ideale Stadt Jerusalem. Leider ist von seiner Fantasiearchitektur heute lediglich ein Teil erhalten. Ursprünglich tummelten sich in Mosers Weihnachtswunderland zudem Gemsen auf Bergen und Tiroler Almhütten standen zwischen Libanon-Zedern. Hach, so herrlich eklektisch geht es zu, wenn man bei der Wirkung der Krippe nur ein Ziel verfolgt – die ganz große Oper, ein Staunen und Raunen über Jahrhunderte hinweg.

Text und Fotos © Alexandra González

Die Krippensammlung kann ab November bis Ende Januar während der regulären Öffnungszeiten besichtigt werden. Von Februar bis Oktober nur nach Voranmeldung. www.bayerisches-nationalmuseum.de

Aromatherapie für die Augen

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Es ist nur zwei oder drei Stunden am Tag schön, so wie den ganzen Juni über? Macht nichts, das reicht, wenn man in München wohnt: Einfach mittags im Internet das frisch vignette_alpenstaunengepostete Bild eines Freundes vor Eibsee und Zugspitze entdecken. Begeistert sein. Kurz entschlossen in nur sechzig Minuten selber nach Grainau hinter Garmisch fahren. In weiteren fünfundsiebzig Minuten zum Eibsee hochwandern. Am See-Ufer riecht es dann so herrlich nach Zeder, als wäre man am südlichen Mittelmeer. Ist der Duft etwa echt hier heimisch – oder hat nur jemand dieses angesagte neue Grillholz gekauft? Egal. Reinspringen, Panorama mit Zugspitze und Stand-Up-Paddler genießen, wieder runterlaufen, heimfahren. Geht alles locker bis zum Abendessen. Und wochentags garantiert ohne Stau. Beim Abstieg an der wunderschön in der Etappe gelagerten Almblumenwiese noch eine Prunella vulgaris (Kleine Braunelle) pflücken, für den nächsten Fotostudio-Tag.         ah

Prunella vulgaris von einer Almwiese unterhalb des Eibsees
Prunella vulgaris von einer Almblumenwiese unterhalb des Eibsees, gefunden am  12. Juni 2016