Die Nackten und die Roten: Der Monte Verità war um 1900 die heißeste Kommune des Abendlandes. In den hölzernen Licht-Luft-Hütten der Vegetarier gärten die Ideen für eine bessere Welt. 1926 kaufte der Bankier Eduard Freiherr von der Heydt den gesamten Wahrheitsberg und ließ ein Hotel im Bauhausstil darauf setzen. Die Hautevolee der Zwanzigerjahre logierte hier, nach der Meditation gab es nun Schampus statt Rohkost.
1978 verliebte sich der legendäre Ausstellungsmacher Harald Szeemann in den hoch über dem Lago Maggiore gelegenen Tessiner Ort und dessen Geschichte. Vier Jahre bereitete er seine Schau „Le mammelle della verità“ (Die Brüste der Wahrheit) vor. 975 Original-Exponate, darunter Fotos, Briefe, Bücher, Kunstwerke und Kleidungsstücke, trug er zusammen, um den Lebensreformer-Kosmos neu zu arrangieren. Von 1982 bis 2009 war die Ausstellung in der historischen Casa Anatta zu sehen. Schließlich drohte dem Holzbau aus dem frühen 20. Jahrhundert der Verfall.
Es wurde geschlossen und aufwändig saniert. Jetzt steht die zweite Wiedergeburt des Hügels aus dem Geist der Zivilisationskritik bevor: Am 20. Mai wird die Casa Anatta samt minutiös rekonstruierter Szeemann-Ausstellung erneut eröffnet. Mit dieser Form des künstlerischen Reenactment erweist man nicht nur den Anarchisten und Anthroposophen, den Aussteigern und Nudisten der ersten Stunde Reverenz, sondern auch einem leidenschaftlichen Kurator, der in diesem Haus der Erinnerung „600 Viten mit 600 verschiedenen Paradiesvorstellungen“ genial verdichtet hat.
Alexandra González
Ab dem 20. Mai können die Casa Anatta, Casa Selma und Casa dei Russi besichtigt werden. Der Padiglione Elisarion bleibt weiterhin wegen Renovierungsarbeiten geschlossen.
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