Wunschglocke und Himmelsschaukel

Skifahren ist eine extrem sinnliche Angelegenheit. Das weiß jeder, der schon mal bei Sonne durch den unberührten Schnee gekurvt ist. In Zeiten von unsicheren Schneelagen müssen dennoch neue Ideen und Vergnügen dazukommen. Das Sterzinger Familienskigebiet am Rosskopf zum Beispiel schafft es gerade mit einer formidablen Glocke, die kleine und große Besucher mit Weitblick über die Dolomitengipfel anschlagen dürfen, so einen Thrill zu erzeugen. Ein Herzenswunsch soll dabei für jeden der Glöckner, die auf über 2000 Höhenmetern walten, in Erfüllung gehen… Und gleich neben der Glocke hängt eine Himmelsschaukel. Auf sanfte Weise verschafft sie da oben fast so viel Spaß wie eine Achterbahnfahrt. Danach geht´s wieder auf die Piste.

Skiurlaub am Monte Cavallo, wie der Rosskopf in Italien heißt, ist anders. Warum? Weil hier keine Champions League des Wintertourismus ausgetragen wird. Höher, schneller, weiter – das findet anderswo statt. Die kleine Stadt Sterzing hat viel individuellere Vorzüge: Hier quert die Kabinenbahn – ein Alleinstellungsmerkmal, das fast jeder Europäer von einem Italienurlaub kennt – die Brennerautobahn. Sehr romantisch und charmant. Weil Sterzing fast 1000 Meter hoch liegt und damit als eine der höchsten Städte Italiens gilt, lässt sich die erst 2018 angelegte Talabfahrt praktischerweise gut mit einem Einkaufsbummel durch die Fußgängerzone der alten Fuggerstadt abschließen. 
Zwölferturm, Rathaus und freskengeschmückte Kirche warten mit mehr als 1000 Jahren Geschichte auf, Alt- und Neustadt mit zahllosen Geschäften. Und mit traditionellen Wirtshäusern, die Spinatknödel, Schüttelbrot-Gnocchi und 
Schlutzkrapfen servieren. Weil Sterzing nur 15 Kilometer unterhalb des Brenners, also supernah an Österreich liegt, stürmten zu Coronazeiten zehntausende Lockdown-geschädigte Österreicher dort den nördlichsten Weihnachtsmarkt im Nachbarland.

Die jüngste Attraktion ist aber die gerade erst am letzten Wochenende eingeweihte 10-er-Gondelbahn zum Rosskopf. Samt neuer Stationen für Berg und Tal. Blitzgeschwind und blitzgescheit nutzten die Betreiber unerwartet angebotene Coronamittel, um den erst für 2027 geplanten Bahnaustausch vorzuziehen. Die aktuelle Superseilbahn erreicht den Gipfel natürlich schneller als das 35 Jahre alte Vorgängermodell. Sie ist auch viel bequemer, ein Vorzeigeprodukt der lokalen Gondelbaufirma Leitner, eines Unternehmens mit weltweit 5000 Beschäftigten. 

Lohnt sich so eine Investititon in Sterzing überhaupt? Ja, weil das Skigebiet so hoch liegt und der Rosskopf mit der verkehrsgünstigen Lage sommers wie winters als Top-Freizeitziel gilt. Sterzing hat jedes Jahr 1,3 Millionen Übernachtungen. Vergangenen Monat konnte der Ausrüster in der neuen Talstation gleich an mehreren Tagen alle seine tausend Leihschlitten an die Leute bringen. Denn über Sterzing gibt es auch die mit zehn Pistenkilometern längste beleuchtete Rodelbahn Italiens. Freitags ist das Nachtrodeln sogar bis Mitternacht möglich. 

Also doch noch ein Superlativ. Ruhig und entspannt bleiben die Ferien rund um Sterzing trotzdem. Ob Gast und Gästin einen Langlauftag in den Loipen des stillen Pfitschtales einlegen, wo bei St. Jakob der weitläufige Talschluss nur mit wenigen anderen Sportlern geteilt werden muss. Ob sie in der schicken Bar des Restaurants Stern auf ihre Mountain-Chalet-Ferien dort oben anstoßen. Oder ob sie im Hotel Engels Park eine der neuen Fugger-Suiten ausprobieren, die zusammen mit einem Saunareich aus altem Holz und viel Glas samt „Kräuternest“ und Kaminraum in einem großen Park liegen und so das frühere Hotel Zum Engel in unsere Zeit gebeamt haben. In Sterzing sind snow holidays immer auch slow holidays.

Text und Fotos: Alexander Hosch

Tageskarte für Erwachsene ab 47 Euro; www.rosskopf.com

Hotel Engels Park, z.B. Junior Suite für 1 Nacht, ca. 200-240 Euro; www.engelspark.it

Gasthaus Schaurhof in Ried, www.schaurhof.it

Restaurant Graushof in Afens, www.graushof.com

Sternhütte, www.stern.one

Bitte lest auch unsere Story #12, Rubrik Straßenrandperlen (2019): 

https://www.alpine-kultur.com/die-rosskopfgondeln-ueber-der-brennerautobahn/

Die Rosskopfgondeln über der Brennerautobahn

#12      Und schon wieder dran vorbei gefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es Sehenswürdigkeiten, die jeder zu kennen glaubt, obwohl kaum einer je dort angehalten hat. Wir nehmen uns die Zeit und besuchen sie.

Objekt  Kabinenseilbahn auf den Rosskopf (Monte Cavallo) / Adresse  Alte Brennerpassstraße 12, I-39049 Sterzing (Vipiteno), Südtirol / Koordinaten  N 46° 54′ 54″, O 11° 22′ 59″ /  Bauzeit  1968-2019 /  Bau-Grund  Wer will schon bis  nach Madonna di Campiglio oder Cortina hinter zum Skifahren? / Aktuelle Nutzung Besuchertransport zur Bergstation, zur längsten Rodelbahn Italiens und ins Skigebiet Monte Cavallo (Tageskarte ca. 37-47 Euro); www.rosskopf.com / Betriebszeiten: Anfang Dezember bis Mitte April; Ende Mai bis Anfang Oktober / Schönster Augenblick  Sobald die Skisaison anfängt und die Gondeln die Autobahn queren, herrscht bei Skifahrern am Steuer sofort Serotonin-Alarm.

 

Warum man immer dran vorbeifährt:

Auf dem Heimweg vom Mittelmeerurlaub fürchten Autofahrer nichts mehr als den berüchtigten Brenner-Stau. Kaum einer hat dann das Herz oder die Muße, noch eine letzte Pause einzulegen – obwohl die Rosskopf-Gondeln, die hier malerisch die Fahrbahn kreuzen, im Winter wie im Sommer größtes Vergnügen versprechen…

Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss:

Weil man so schnell dort ist! Die definitive Besonderheit im bequemen Kleinstskigebiet Sterzing ist die Landschaft: Man blickt von den Pisten des Monte Cavallo hinab jederzeit Richtung Dolomiten und übers Südliche Wipptal. Auf der nagelneuen 5-Kilometer-Talabfahrt wedeln die Skigäste unter den Sause-Brummis und Bussen durch – um dann, wenn sie wollen, gleich direkt in der Sterzinger Altstadt zum Shoppen abzuschwingen. Das nächste grandiose Alleinstellungsmerkmal der Sterzinger Rosskopfbahn ist, dass sie wahrscheinlich die einzige Alpengondelbahn darstellt, die im Drei-Meter-Abstand eine Autobahn überquert. Die weltweit tätige Seilbahnfirma Leitner hat sie einst gebaut, ein lokaler hidden champion aus dem 1000 Meter hoch gelegenen Städtchen. Das Sterzinger Unternehmen könnte an dieser Stelle auch gut kostenlos eine immerwährende Liftmaschinen-Markenwerbeschau veranstalten – für die vielen Millionen Europäer, die hier jährlich vorbeifahren. Tut es aber nicht. Stattdessen tauschte die Firma jetzt rechtzeitig zur Skisaison 2018/19 die Liftanlagen für die zweite Sektion in Richtung des 2.176 Meter hohen Monte Cavallo aus. Dort fährt nun eine sogenannte Telemixbahn: Kleine Gondeln sind abwechselnd mit 6er-Sesseln eingehängt; die Eltern und die Kinderskischule haben sich das so gewünscht. Die neue Bahn hat einen umweltfreundlichen DirectDrive-Elektromotor – das half bei der Entscheidung.

Wie man hinkommt:  

Bei der Ausfahrt Sterzing die A 22 verlassen und zum Ortseingang, wo wenige Meter unterhalb der Autobahn an der Alten Brennerstraße die Talstation liegt. Parken, Ski anschnallen, los geht’s.

Text und Fotos:  Alexander Hosch

(copyright für Idee, Text und Fotos: Alexander Hosch & Sabine Berthold)

Grafiken:  entdeckt im 3-Sterne-Hotel Rosskopf, www.hotel-rosskopf.it