„Das Blaue Land hinter Glas“ heißt ein Kunst-Schwerpunkt, den vier Museen (Murnau, Kochel, Penzberg, Bernried) von Ende September bis Februar groß mit Symposien und Ausstellungen zum Expressionismus inszenieren. Vorteil, wenn man schon jetzt im Sommer hinfährt: Man kann bei dem kleinen Ausflug gleich in vier verschiedene oberbayerische Seen – wie den Kochelsee oben – springen! Und einige wichtige Hinterglasbilder befinden sich ohnehin in den Dauerausstellungen. Wir haben sie vorab schon mal besucht.
Erste Station: das Schlossmuseum (u.) in Murnau am Staffelsee. Hier sieht man, dass Abstraktion und Herrgottswinkel in Oberbayern schon seit über 100 Jahren beste Freunde sind. Denn eines Tages nahm Gabriele Münter, die in Murnau seit 1909 mit ihrem Lebensgefährten Wassily Kandinsky ein Landhaus hatte, einfach die Ettaler Gnadenmaria und die Madonna von Altötting aus ihrer Schnitzfigurensammlung. Und baute sie voller Hingabe als Motive in ihre expresssionistischen Gemälde ein. Die Blaue Reiterin machte auf diese Weise aus den vertrauten Alltagsdevotionalien etwas aufregend Neues. Zu sehen, wie auch rund 15 von Münters schönsten Hinterglasbildern, in der aktuellen Ausstellung Gabriele Münter und die Volkskunst, bis 12. November, www.schlossmuseum-murnau.de . (Plakat-Foto rechts A. Hosch). Vor oder nach dem Kunstbesuch lockt das Strandbad am See.
Zweite Station: das Franz Marc Museum am Kochelsee (l.). Marc hat nicht so viele Hinterglasbilder geschaffen – er fiel ja schon 1916. Gerade sein frühes Großformat in dieser Technik, „Landschaft mit Tieren und Regenbogen“ von 1909 (unten ein Ausschnitt), wirkt indes wie ein Potpourri der ikonischen Motive des ganzen frühen Blauen Reiters: Die Gouache auf Glas, collagiert mit Siberfolie und Papieren, versammelt Pferde, Pflanzen und Gestirne. Wenig bewegte die Künstler der beginnenden Moderne mehr als die friedliche Revolution einer kosmischen Einheit von Mensch und Tier. Dieses Hinterglasmotiv war Marc selbst so wichtig, dass er es schon 1912 in der epochalen Schau in der Münchner Galerie Thannhauser zeigte. Heute kann das schöne Bild jederzeit im 1. Stock des Museums besucht werden; das Drumherum folgt dann erst im Oktober: Franz Marc – Landschaft mit Tieren und Regenbogen, Studioausstellung zur Entstehungsgeschichte (15.10.2017-18.2.2018, Kochel, www.franz-marc-museum.de). Gleich unterhalb des Museums empfehlen sich ein Schwimmsteg oder die Bootsanlegestelle des Kochelsees.
Nur ein paar Kilometer weiter erzeugte in Sindelsdorf auch der jüngste Blaue Reiter, Heinrich Campendonk, voller Verve Hinterglasbilder. Sogar 76 Stück. Bis in die 1950er Jahre. Der Rheinländer hatte sich 1911 von Franz Marc begeistern lassen und war nach Oberbayern in dessen Nachbarschaft umgezogen, später weiter nach Seeshaupt am Starnberger See. Gisela Geiger leitet in Penzberg, also praktisch nebenan, unsere dritte Station: die erst 2016 eröffnete Sammlung Campendonk. Sie verantwortete auch den neuen Catalogue Raisonné und schätzt darin Campendonks lange übersehene Glasgemälde einerseits wegen „der Steigerung der Leuchtkraft der Farben“, andererseits wegen der „subtil eingesetzten grafischen Strukturierung“ als Höhepunkte in seinem Gesamtwerk ein. Heinrich Campendonk, Die Hinterglasbilder, 244 Seiten, 467 farbige Abbildungen, sieben Textbeiträge zu Motiven, Technik und Materialien, Wienand Verlag, 49,90 € (Cover-Ausschnitte oben und u. l.). Das großformatige Buch gibt die raffinierten Techniken preis – Bronze-Einsprengsel, Marmorierung, radierte Flächen und Stupfen mit der Fingerkuppe –, mit denen Campendonk die magische Transparenz erzielte und seine Motive unverwechselbar machte. Dieses allererste Werksverzeichnis nur für Hinterglasbilder eines Blauen Reiters zeigt gepunktete, schraffierte und karikaturhaft umrissene Tiere, Pflanzen, Mädchen, Bauern und Pierrots – in diesem Stil war dieser Künstler den französischen Fauves oft näher als deutschen Kollegen. Einige werden später in der Schau „Tiefenlicht. Malerei hinter Glas von August Macke bis Gerhard Richter“ (23.9.2017 – 7.1.2018, www.museum-penzberg.de) vertreten sein.
Der nächste Badestopp könnte auf dem Weg von Penzberg nach Norden an einem der 20 Osterseen stattfinden (Naturschutzgebiet mit ausgewiesenen Schwimmstellen). Zwanzig Kilometer weiter liegt unsere Station Nummer vier: Im Buchheim Museum der Phantasie Bernried (links) versammelt die Präsentation Über Nonnenspiegel und Zirkusschweine (13.10.-18.2.2018, www.buchheimmuseum.de) bayerische Hinterglasbilder des 19. und frühen 20. Jahrhundert, wie sie Münter, Jawlensky, Marc, Macke und Co. damals als Vorbilder dienten. Hier können sich die Besucher, mit Blick auf den Starnberger See, entweder selbst in Hinterglasmalerei versuchen oder die malerischen Segelschiffe (Foto unten) besuchen, die einen Spaziergang weiter in der Marina gleich rechts liegen. Alexander Hosch