Im Spiel der Wellen

Steine klopfen – manche entspannen sich am Wochenende, indem sie urzeitliche Fossilien aus jahrtausendealten Erdschichten ins Licht der Welt zurückbefördern. Eine ähnliche Schatzsuche ist jetzt in der Ausstellung „Radiophonic Spaces“ mit 210 ausgewählten Musikstücken, Hörspielen und Geräuschkulissen aus 100 Jahren Radiogeschichte inszeniert. Sie galten als verschollen oder waren im – für die Allgemeinheit unzugänglichen – Radioarchiv der Bauhausuniversität Weimar quasi im Expertenzirkel gefangen, ehe ein Team aus Forschern, Technikern und Künstlern jetzt daraus ein Vergnügen für alle bereitete.

    In Basel ist diese “Hör-Schau“ mit Soundparcours jetzt zur Premiere angerichtet – in direkter Nachbarschaft zu den auratisch hereinwirkenden kinetischen Skulpturen von Jean Tinguely (1925-1991), die ja oft selbst Töne oder Lärm erzeugen. Man läuft im Tinguely Museum gewissermaßen als seine eigene Sendersuchnadel durch die große Halle, die extra zum Sound-Lab umfunktioniert wurde. Die komplett dezente Ästhetik der Schau wird lediglich von antik anmutenden Sende- und Empfangsinstallationen, einigen Corbusiersesseln, Bildschirmplattformen sowie den Besuchern mit ihren vorprogrammierten Smartphones und Kopfhörern bestimmt, die durch die Wellenlandschaft driften. Musik und Frequenzrauschen, Klänge und Geräusche gehen über alles, keine Äußerlichkeit steht ihnen im Weg. Durch ihre Bewegungen und etwas Smartphonetechnik suchen und finden die Museumsgäste die auf je anderen Wellenlängen an vorbestimmten Plätzen verorteten Hörbeispiele aus der Geschichte der Radiokunst: Je nachdem, welche vorarrangierte Frequenz man mit dem Spezial-Smartphone passiert, kann man etwa Paul Hindemiths sonst unzugängliche, 1930 in der Berliner Rundfunkversuchsanstalt aufgenommene „Grammophonplatteneigene Stücke“ vernehmen. Oder experimentelle Avantgarde-Radiophonie mit frühen „Scratches“ des Bauhauslehrers Laszlo Moholy-Nagy, 1923 am Staatlichen Bauhaus Weimar aufgenommen und kürzlich von einem spanischen Professor rekonstruiert. „Imaginary Landscapes“ von John Cage sind im Angebot, Sprech-Dada mit Ernst Jandl und andere einmalige Beiträge – wie eine 1950 von einem Journalistenteam des Radiostudios Lausanne begleitete, akustisch dokumentierte Matterhornbesteigung durch Walliser Bergführer. So schön schlägt alpine Hoch-Kultur Wellen in Basel am Rhein.

    Das Thema wirkt nur auf den ersten Blich wie aus der Zeit gefallen. Denn durch die verspielte Anlage dieser faszinierenden Ausstellung bekommt das fordernde intellektuelle Setting viele schöne Fun-Aspekte: Die Besucher wirken wie Pokemon-Go-Spieler, wenn sie auf der Suche nach der Radiokunst verstrahlt durch die Schau gehen. Sie können manches für später speichern – und so quasi liken, was ihnen gefällt. Eine 14-teilige Aktionsplanung mit Wochenthemen wird bis Ende Januar die ganze Stadt in das Projekt intregrieren – Soundwalks sind dabei, Hörexpeditionen, eine Funkwoche für alle und sogar eigener Radiobau. Also von wegen, Radio ist tot, denn jetzt gibt es ja Podcast.                Text und Fotos: Alexander Hosch

Radiophonic Spaces, Museum Tinguely, Basel, 24. Oktober bis 27. Januar, www.tinguely.ch. Im Bauhausjahr 2019 wandert die Schau nach Berlin (Haus der Kulturen) und Weimar.

In die Bibliothek der Superlative

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Der Schweizer Heimatschutz (nicht zu verwechseln mit den amerikanischen Geheimniskrämern) kümmert sich als Verein um das baukulturelle Erbe der Eidgenossenschaft. Seit einigen Jahren sorgt die Initiative mit zauberhaften Publikationen im Postkartenformat dafür, dass man augenblicklich zur einer groß angelegten Tour de Suisse aufbrechen möchte. Mission erfüllt. Jeder Band ist einem anderen Superlativ gewidmet, denn die Schweiz kann nun mal aus dem Vollen schöpfen – die schönsten Kaffeehäuser, Bäder, Bauten, Hotels und zuletzt eben die schönsten Museen in zwei Bänden. Gerade wurde Band 2 herausgegeben, der sich auf 50 Ausstellungsorte für Bildende Kunst konzentriert.

Beim Blättern treffe ich aufluchtbergfoto_300f alte Bekannte wie das Musée Jenisch, ein neoklassizistisches Schatzkästchen am Genfersee für Arbeiten auf Papier. Oder den von Reformgeist und Champagnerlaune einer Aussteigerkommune umwölkten Complesso Museale del Monte Verità hoch über Ascona. Doch steckt das Büchlein auch voller Überraschungen. Wer vermutet schon hinter der schlichten historischen Fassade des Hotels Furkablick eines der aufregendsten helvetischen Kunstprojekte?

furkablick2Seit 1983 haben mehr als 70 internationale Akteure – darunter Marina Abramović und Ulay, Daniel Buren, Jenny Holzer, Per Kirkeby, Lawrence Weiner oder Mario Merz – auf der Furkapasshöhe (2427 m ü. M.) gegen Kost, Logis und einen Gotteslohn wundervolle Malerei, Skulpturen, Installationen und Interventionen hinterlassen. Dann kam auch noch Rem Koolhaas und baute das denkmalgeschützte Hotel mit minimalen Eingriffen 1991 behutsam um. Ich möchte jetzt bitte sofort einen Kaffee auf der Sonnenterrasse trinken. Muss mich aber wohl gedulden. Denn das Haus ist nur zur Postsaison von Juni bis September geöffnet.

Alexandra González

Die schönsten Museen der Schweiz – Orte der Kunst. 120 Seiten. Format A6. CHF 16,-. Bestellungen unter www.heimatschutz.ch/shop

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