Die rot-weiß-rote Dramaqueen an der Inntalautobahn

#11     

Und schon wieder dran vorbei gefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es Bauwerke, die jeder zu kennen glaubt, obwohl kaum einer je dort angehalten hat. Wir haben sie besucht.

Objekt   Klosterkirche zum Heiligen Karl Borromäus / Ort   Volderwaldstraße 3, A-6060 Volders, Tirol /  Koordinaten  N 47° 16.970’  E 011° 33.215’ / Bauzeit   1620–54 / Bau-Grund   Die Pest kann uns mal! / Stil   früher Autobahn-Manierismus / Aktuelle Nutzung  Kirche des Servitenordens / Öffnungszeiten  tagsüber; Messe Fr 7 Uhr, So + Feiertage 10.30 und 18.30 Uhr / Schönster Augenblick   zehn Minuten vor Sonnenuntergang

Warum man immer dran vorbeifährt:   Hinter Hall wird die A12 durch einen Lärmschutzwall fast zur Röhre. Plötzlich poppt ein Kranz bauchiger Kapellen neben der Fahrbahn auf. Zu spät…

Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss!   Die rot-weiß-rote Karlskirche wurde mitten im Dreißigjährigen Krieg vom Arzt Hippolytus Guarinoni zu Ehren des 1610 gestorbenen Mailänder Pestheiligen Karl Borromäus gebaut. Kaiser Rudolf unterstützte ihn. Sie ist ein rares Meisterwerk des Manierismus nördlich der Alpen. Dieser Übergangsstil von der Renaissance zum Barock kultivierte Übertreibungen – hier sind es die drei Kapellen, die einander wegzudrücken scheinen. Guarinonis Grundriss ist stark vom etwa zeitgleich erbauten Petersdom in Rom inspiriert. Der Papst sollte Augen machen! Der größte Schatz hier, neben dem Kuppelfresko, ist die Pietà (1707) von Andreas Damasch, links vom Eingang („Brugg’n-Mutter“). Die Serviten sind Mariendiener. Darstellungen der Schmerzvollen Maria, deren Verehrung auf die große Pest 1347–52 zurückgeht, sind typisch für den Orden.

Wie man hinkommt:  Die A12 Richtung Innsbruck in Wattens verlassen, auf der Bundesstraße bis Volders. In Gegenrichtung zwischen Hall und Wattens am Autobahnparkplatz hinterm Lärmschutzwall raus. Ganz vorn durchs Gebüsch steigen. Daneben liegt die Kirche.

(copyright für Idee, Text und Fotos: Alexander Hosch & Sabine Berthold)

 

 

Wie im Himmel

Als Drehort sind die Alpen einsame Spitze. Doch nicht jedes Werk, das hier entstand, wird auch als Bergfilm wahrgenommen. Wir stellen Fundstücke abseits des klassischen Genres vor, vom Klischee des Helden im Fels befreit: Heimlicher Alpenfilm #8

Zum Tod von Michael Nyqvist am 27. Juni 2017

Der bekannte Dirigent Daniel Daréus (Michael Nyqvist) geht nach einem Herzinfarkt in seinen schwedisches Heimatort zurück. Er wurde dort als Kind gemobbt, trotzdem kauft er nun die Dorfschule, um fortan dort zu wohnen. Sofort bekommt er es mit dem autoritären Pharisäerpfarrer Stig und dem brutalen Nichtsnutz Conny zu tun, der ihn früher schon gequält hat. Daniel wird genötigt, den kleinen Kirchenchor der Gemeinde zu leiten, findet jedoch wider Erwarten Gefallen daran. Bald wird er in den Alltag der Laiensänger verstrickt. Eifersucht, Einsamkeit, Machtkämpfe. Daréus blüht gleichwohl in der neuen Rolle auf, denn er kann Hilfe leisten.

Regisseur Kay Pollak drehte 2004 eine Story voll von Bergmanesker Tragik. Ein Psychodrama und ein Musikmovie. Stets wollte Daniel mit der Welt der Töne nur Herzen öffnen. Hier gelingt es ihm endlich, alle brechen aus sich heraus. Und er, tiefscheu, lernt seine Liebe zu Lena in Worte zu fassen. Dann wird der Chor „in Mozarts Heimat“ geladen. Einmal Katharsis und zurück: Daniel, der ausgebrannt aus dem Gefängnis des Klassische-Musik-Business floh, muss mit seinen Eleven zum Gesangswettbewerb nach Österreich. Der genaue Ort bleibt im Film ungenannt, doch der Bus mit dem Chor aus Skandinavien hält nicht in Salzburg vor der Getreidegasse, sondern in Innsbruck: Kongresshalle, Hofkirche, Dom. Daniel trifft am Aufführungsort Leute von früher. Er gerät in Panik und kollabiert auf dem Weg zur Bühne. Durch einen Luftschacht hört er noch, wie seine Chorschüler ohne ihn antreten und alle begeistern, weil sie bei sich angekommen sind.                Alexander Hosch

Info, diverse DVD & Blue ray, Trailer etc. siehe:

www.wie-im-himmel-derfilm.de/

Die Europabrückenkapelle

Und schon wieder dran vorbeigefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es überraschende neue Architekturen. Und schöne ältere, die jeder zu kennen glaubt, obwohl kaum einer je dort angehalten hat. Wir haben sie besucht.  Straßenrandperle #6

europabruecke__dsc1406Objekt Kirche mit filigranem Glockenturm an der Brennerautobahn zwischen Innsbruck und Matrei / Ort A-8141 Schönberg, vignette_strassenrandperlen4am Autobahnrastplatz  / Koordinaten N 47° 11.892´ E 011° 23.934´ / Bauzeit 1963 / Bau-Grund Auch am Steuer gibt’s viel Sünd’ / Aktuelle Nutzung Autobahnkapelle / Öffnungszeiten Glasfront mit Durch-Blick! Der kleine 200-Meter-Aufstieg lohnt sich also zu jeder Zeit / Schönster Augenblick Im Morgenlicht (Blick von der Autobahn in Richtung Süden)
europabruecke__dsc1370Warum man immer dran vorbeifährt:  a) Der Rastplatz ist wieder grauenhaft überfüllt  b) Es sind nicht mal mehr 50 Kilometer bis zum ersten Espresso in Italien  c) Der letzte unfreiwillige Halt, als an der Abkassierstelle gerade 8 Euro Extra-Maut zu zahlen waren, steckt einem noch in den Knochen.

Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss!  Weil von hier
oben zum Beispiel das benachbarte Naturdenkmal Erdpyramiden so schön zu sehen ist. Andererseits: Die Kirche selbst ist Grund genug. Der Architekt Hubert Prachensky hat in den sechziger Jahren das Natursteinmauerwerk der Kapellenfassade raffiniert mit Glas aufgebrochen. europabruecke_9251423-1So kann selbst von draußen der auf den Stufen Sitzende durch ein mittiges Fenster das Innere betrachten. Oder tolle Panoramablicke auf das Wipptal und die ehemals – bis 2004 – höchste Autobahnbrücke Europas werfen. Man sieht sehr gut die Ortschaft Patsch gegenüber, mit den Almen und Berggipfeln, etwa dem Patscherkofel dahinter. Größter Kapellenschatz: Die Fresken Karl Plattners an Außen- und Innenwänden, von 1964. Der Südtiroler hat darin motivisch einen Bogen vom Bau der Europabrücke (1960–63) zu Christophorus und Nepomuk, den beiden Schutzheiligen der Reisenden und der Brücken, geschlagen.

Wie man hinkommt: Brennerautobahn, Ausfahrt Schönberg, Parken bei den Raststätten. Dann auf den Hügel steigen (etwa 200 Meter).

copyright für Idee, Text und Fotos: Alexander Hosch & Sabine Berthold

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Die silberne Kobra von Innsbruck

vignette_strassenrandperlen4Und schon wieder dran vorbeigefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es überraschende neue Architekturen. Und schöne ältere, die jeder zu kennen glaubt, obwohl kaum einer je dort angehalten hat. Wir haben sie besucht.  #3

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Objekt
Bergiselskischanze / Adresse Bergiselweg 3, A-6020 Innsbruck / Koordinaten  N 47°14.810’, O 011°23.987’ / Bauzeit  2001-2002 / Bau-Grund   Von wegen, Innsbruck liegt hinterm Architektur-Mond! / Aktuelle Nutzung  Skisprungwettbewerbe, Training, Besichtigungen (Kombikarte Schanze/Museum TirolPanorama); tagsüber Café-Restaurant in der Kanzel, abends privat zu buchen / Öffnungszeiten  www.bergisel.info / Schönster Augenblick  Immer die nächste Vierschanzentournee (meist 3./4. Januar)

Warum man immer dran vorbeifährt:  Weil man sich ja doch wieder nicht stilgemäß herunter zu fliegen traut! Jeder Aufstieg über 455 Stufen ist ein Sieg. Aber jeder Abgang ohne Ski an den Füßen eine kleine Niederlage.

bergiselschanze

bergiselschanzeWeshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss: Jetzt, wo bald erneut die Urlaubskarawane über den Brenner zieht, fällt sie allen hoch über der Autobahn wieder groß in den Blick: Die Bergiselschanze von Zaha Hadid. Zuerst musste die britisch-irakische bergisel_schanzeArchitektin von ungefähr 1975 bis 2000 lesen, man könne ihre Entwürfe gar nicht bauen. Und von 2001, kaum dass die Ersten standen, bis 2016 schrieben dann die Chauvis und Bau-Spießer: bääh, Spektakel, das ist ja eine Stararchitektin, und auf den Häusern fehlt der Giebel. Vor Kurzem ist die einzige berühmte Frau im Architekturzirkus mit nur 65 Jahren gestorben. Sie war das schillerndste Talent der Bauwelt, und zusammen mit David Bowie der größte Verlust für die Kunstwelt in diesem Jahr. – Gut also, dass Zaha Hadid zu Lebzeiten immer brav gebaut hat, wie sie wollte. Bei uns im Familienauto freuen sich jedenfalls mit jeder Alpenüberquerung alle als wär´s der Eiffelturm, wenn die silberne Kobra auftaucht, schemenhaft zuerst, dann schillernd, dann immer klarer. Früher sahen Skischanzen wie Kreuzungen aus Fernsehturm, Hochspannungsmast und Kohleförderanlage aus. In Innsbruck dagegen spielte die Mathematikerin und Dekonstruktivistin Hadid elegant mit dem Eindruck von Instabilität, mit extremen Winkeln und Überhängen. Das ist auch für jeden Besucher eine schwindelerregende Sache – wie eine Achterbahnfahrt. Schon der sportive Aufstieg zu Fuß oder alternativ die Fahrt per Schrägzug an den Schanzenrumpf und im Fahrstuhl hoch zum Turm-Café sind Erlebnisse. Die immer leicht verkippte Rundum-Aussicht von der Terrasse über Stadt, Berge und Inntal ist dann der eigentliche Clou. Wer ganz viel Glück hat, erlebt, wie unterhalb seiner Frühstücks-Tasse trainierende Meisterspringer aus der Luke gleiten. Und womöglich wird im Januar Michael Hayböcks neuer Schanzenrekord (138 Meter) gleich wieder geknackt.

Wie man hinkommt: Statt auf die A 13 Richtung Brenner abzubiegen, fährt man von der Inntalautobahn bei Innsbruck-Mitte raus. Von da über Klostergasse, alte Brennerstraße und Hohlweg auf den Bergiselweg. Parkplatz beim Kaiserjägermuseum. Von hier zum Stadion fünf Gehminuten.

(copyright Idee, Text und Bilder: Sabine Berthold & Alexander Hosch)

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