Der höchste Berg auf dem Mond heißt Mount Huygens und erhebt sich 5 500 Meter über der Tiefebene des Mare Imbrium. Als Mare Humorum wird eine weitere Formation des Erdtrabanten bezeichnet. Gut sichtbar ist dieses “Meer der Feuchtigkeit” auf einer Heliogravüre des Wiener Astronomen – und späteren Pariser Sternwartendirektors – Maurice Loewy. Die gestochen scharfe Aufnahme bildet den Auftakt zur flamboyanten Ausstellung “ZERO GRAVITY. Apollo 11 and the new notion of space” in der Münchner Eres-Stiftung. Die Schau erkundet, wie sich parallel zur Mondlandung vor genau 50 Jahren neue Konzepte von Raum und Zeit Bahn brachen und bislang geltende Grenzen in Kunst, Architektur, Musik, Film, Design, Wissenschaft und Technik eingerissen wurden. Wer hätte gedacht, dass die kleine Alpenrepublik Österreich bis heute einen bemerkenswerten Anteil an dieser tollen Dynamik hat? Ein Land der Querdenker eben.
Loewys 1902 im “Atlas Photographique de la Lune” publizierte Aufnahmen dienten als Grundlage für die moderne Mondkartographie. Plötzlich schien der Kosmos zum Greifen nah und zugleich weitete sich der Raum. Eine paradoxe Sensation, die sich mit der Landung des ersten Menschen auf dem Mond fünf Jahrzehnte später ins Spektakuläre steigerte. So schön und vielversprechend sah die Zukunft nie wieder aus. Die Apollo-Mission befeuerte eine alle Lebensbereiche erfassende Aufbruchsstimmung.
Leitmotivisch gleiten Andy Warhols heliumgefüllte “Silverclouds” durch die niedrigen Souterrainräume der Schwabinger Eres-Stiftung. Nicht wiederzuerkennen ist das Gewölbe, nachdem der Tiroler Peter Kogler, der hier als Künstler-Kurator agiert, es mit Spiegelfolie in Millimeterpapier-Ästhetik in ein surreales Raumschiffinterieur verwandelte. Er selbst erinnert sich noch lebhaft an die Mondlandung, die er als Zehnjähriger während seines Adria-Sommerurlaubs im Nachbarhotel verfolgte: “Es gibt niemanden, der nicht wüsste, vor welchem Fernsehapparat er damals saß.”
Für ZERO GRAVITY vermittelte er einige österreichische Positionen von Freunden und sympathischen Visionären nach München, darunter Walter Pichlers “Apparat” von 1966 aus der radikalen Skulpturen-Serie “Protoypen”, Zwitterwesen aus Kunst und Design, in denen der Sound des Space-Age widerhallt. Oder die zwei Jahre später entstandene “Cloud” von COOP HIMMELB(L)AU aus Plexiglas-Halbkugeln. Vollkommen losgelöst von Architekturkonventionen wurde hier etwas Schwebendes, Wolkiges erträumt. Was zählt, sagt Kogler, “ist die Neugier, Dinge durchzutesten, für die es keine Erfahrungswerte gibt”.
So wie das innovative Materialmuster des Wiener Ingenieurs Emilio Podreka. Es besteht aus solargesintertem Granulat, das Mondstaub gleicht und zu Ziegeln verfestigt – mit Hilfe des 3-D-Druckers – neue Habitate auf dem Erdtrabanten ermöglicht. Diese wiederum wären ein Sprungbrett in die Ferne: Der Mond ist heute vor allem als Zwischenstation zum Mars wieder ins Visier gerückt.
Nach dem Leben auf dem Mars fragte bekanntlich auch David Bowie. Ein melancholischer Weltraum-Odysseus wie er darf in der Show nicht fehlen. Wer die Aufsicht nett fragt, bekommt vielleicht Bowies “Space Oddity” in der sehr schicken Dieter-Rams-Phono-Ecke auf den Plattenteller gelegt.
Text und Fotos: Alexandra González
ZERO GRAVITY. Apollo 11 and the new notion of space. 20.7.19 – 01.02.20, mit wissenschaftlichem Begleitprogramm. www.eres-stiftung.de