Salzburger Sommerkopfkino

Auf einer kugelrunden Spezialität aus Marzipan, Nougat, Schokolade und Pistazien sitzt in jeder zweiten Auslage der österreichischen Alpenstadt der zweifellos berühmteste Kopf Salzburgs: Jener von Wolfgang Amadeus Mozart. Wer jedoch ebenso stilgerecht, aber kalorienärmer seinen alpinen Kultur- und Festivalsommer vorbereiten möchte, dem legen wir ans Herz, sich auf die paar hundert Meter vom Hauptbahnhof in die Altstadt zu begeben und dabei – alles diesseits der Salzachbrücken – noch ein paar andere alte und neue Salzburger Häupter zu treffen.
Im klassizistischen Stammsitz der Galerie von Thaddaeus Ropac etwa, der direkt am Mirabellplatz in der rechtsufrigen Altstadt gelegenen Villa Kast residiert, verblüfft der große, mit gelber Ölfarbe bemalte Bronzekopf einer Trümmerfrau aus der Serie „Dresdner Frauen“ (1990/2023). Georg Baselitz ist ihr Schöpfer. Daneben beherrscht der meist am Ammersee arbeitende deutsche Malergigant die auch die anderen ansonsten leeren Räume mit großen blauen Gemälden, die überwiegend Adler abbilden. Bis ihn dann Ende Juli ein anderer deutscher Großkünstler, Anselm Kiefer, ablösen wird. Man muss sich einfach nur trauen, den opulenten Palazzo zu betreten.
Ein anderes – im Gegensatz zur Baselitz-Skulptur – sogar ständiges Salzburger Kopfkino liefert nebenan der älteste europäische „Zwergerlgarten“ im westlichen Teil des barocken Mirabellgartens. Neben einem bildschönen Einhorn, dem Heckentheater, dem Rosengarten und 100.000 anderen (übers Jahr verteilt blühenden) Blumen ist er mit Abstand die schönste Zierde dort, Besuchende können sie im Sommer täglich von 6 Uhr bis Einbruch der Dunkelheit kostenlos durchqueren. Die 28 Zwergskulpturen aus Untersberger Marmor wurden 1695 von Erzbischof Johann Ernst Graf von Thun und Hohenstein bestellt und auf der Lodronschen Wasserbastei postiert. 1811 wurden jedoch alle Zwerge versteigert. Im Lauf der vergangenen 113 Jahre konnten 19 davon – mühsam und ganz allmählich – wieder zurückgekauft werden. Wie etwa der „Zwerg mit Kastagnetten“ ganz oben. Oder der „Zwerg mit Ball“ auf unserem größten Foto. Von noch abgängigen Zwergen künden leere Podeste. Noch immer fehlen zum Beispiel die einst von einem Künstlerkollektiv geschaffenen „Monatszwerge“ für Februar und November. Aber der „Zwerg mit dem Strohtaschenhut“ (Abbildung links unten) ist gottlob wieder da – als einer von ursprünglich fünf Duellanten wartet er im Halbschatten. So kann der Salzburger Hochsommer ruhig kommen.

Text und Fotos: Alexander Hosch

Schnitzel oder Backhendlsalat? Bärenwirt: https://www.salzburg.info › wirtshaeuser › baerenwirt

Salzburger Festspiele, 19. Juli bis 31. August 2024, www.salzburgerfestspiele.at

Villa Kast, Galerie Ropac, Di – Fr 10-18 Uhr, Sa 10-14 Uhr, https://www.ropac.net

Der neue Skiglamour ist grün

Luxus im Skisport, das hieß mal: Teure Sportkleidung, schicke Hotels mit gigantischen Wellnesslandschaften – und vielleicht noch ein superber Helikopterflug in unberührte Tiefschneereviere. Vorbei.

Längst ist die Konkurrenz zwischen den Skidestinationen der Zukunft eine andere. Den feinen Unterschied bei schwindenden Schneemassen und breitflächig dokumentiertem CO²-Ausstoß macht heute die grüne Note. Aber ohne billiges Greenwashing bitte! Weiße Weihnachten können künftig eh nur noch die wenigsten Orte ihren Gästen mit Garantie verkaufen. Wer schafft es also, in kürzester Zeit nachhaltige Faktoren in sein Skigebiet zu integrieren? Wie wollen alpine Dörfer künftig die anspruchsvolle Klientel aus Europas Großstädten dazu animieren, ungeheure Summen für  ein Skiurlaubsvergnügen auszugeben, das mehr und mehr umweltschädlichen Kunstschnee benötigt, das immer noch teurer wird und gleichzeitig immer weniger als Anlass für begeisterte Gespräche unter Freuden taugt?

Der Ort Bad Hofgastein hat diesen Wettbewerb jetzt beispielsweise mit 15 großen sogenannten Solarbäumen voller PV-Module aufgenommen, die seit Sommer 2023 neben der Talstation der Schlossalmbahn herangewachsen sind. Sie sollen dafür sorgen, dass der Stromverbrauch dieser Gondelverbindung schon bald komplett aus erneuerbaren Quellen stammt. Zudem können hier E-Fahrzeuge aufgetankt werden, während man über die Pisten carvt – sei es das eigene Auto oder ein Leihwagen aus der E-Car-Kollektion der Gasteiner Bergbahnen. Solche News werden im Wettstreit zwischen den alpinen Skiorten vielleicht schon bald den Ausschlag geben.

Neuen Luxus herkömmlicher Machart gibt es auch noch, nebenan in der Kurlandschaft von Bad Gastein. In einem Ort, wo täglich reichlich heißes Wasser als erneuerbare Energie direkt aus dem Felsen kommt, macht das immerhin auch künftig Sinn. Deshalb hat zu Beginn des Jahres 2024 das „Badeschloss“ aufgemacht – ein 13 Stockwerke hoher Hotelturm, der seit kurzem als „künstlicher Felsen“ aus vorgefertigten Betonteilen dem Häusermeer entragt. Er vermittelt zwischen der alten Zuckerbächerpracht der Barockfassaden und dem hier im Salzburger Land durchaus auch vorhandenen Architekturkonstruktivismus der 1970er Jahre. Gelungen und mutig. Aber nix für Spießeridyllen.

Den vollen Charme kann das neue Hotel Badeschloss jedoch erst entfalten, wenn auch der sogenannte vertical link Wirklichkeit ist. So heißt ein für 2025 geplantes, aber wohl erst später zu realisierendes Projekt für ein kilometerlanges unterirdisches Förderband, eventuell mit Rolltreppen, das den Ortskern beim berühmten Wasserfall mit dem sehr viel höher gelegenen Bahnhof und der Stubnerkogelseilbahn verbinden wird. Eine grüne und soziale Idee, für die aber noch viel Bautätigkeit nötig ist. Danach kann jede:r die hier extrem steilen Strecken von den Hotels zu den Zügen und Liften samt Kindern und Skiausrüstung bequem als Fußgänger bewältigen. Statt, wie bisher, per Auto.

Natürlich gibt es auch im Skisport jede Menge Gemüter, die auf Neuerungen nicht die geringste Lust haben und lieber Teil des Problems bleiben, als zur Lösung beizutragen. So wie heute wird der alpine Skisport in Höhenlagen unter 2000 Metern aber schon aus physikalischen Gründen spätestens 2035 nicht mehr funktionieren. Garantiert nicht. Deshalb versuchen jetzt viele Alpendörfer alles, um ihren Teil des Kuchens zu behalten. Flaine in den französischen Alpen wollte bis vor kurzem einen sogenannten Tal-Lift  bauen, um alle Verbrennerautos von seinen Hochstraßen zu verbannen. Leider gescheitert: zu teuer. Österreich intensiviert gerade bundesweit den Schienenverkehr, um ab 2026 Alpenorte mit der doppelten Frequenz an Zugverbindungen über Salzburg oder Klagenfurt zu erreichen. Vielversprechend.

Nicht alle Dörfer können gewinnen. Die Mehrzahl der Skikunden in den Ostalpen werden neben Einheimischen – wohl die Deutschen und die Skandinavier bleiben. Und Bürger dieser Länder waren in den letzten Jahrzehnten in puncto Nachhaltigkeit die forderndsten Europäer. (Von Malmö nach Salzburg wurde vor zwei Jahren sogar extra eine neue Nachtzuglinie für Wintersportler kreiert.) Viele von ihnen werden – wenn sie die Wahl haben – auch in künftigen Alpenurlauben regionale Küche und öffentliche Anreise wählen. Dazu weiße Skihänge, die auf natürliche Weise beschneit werden – und aus genau diesem Grund auch ziemlich grün sind.

Text und Fotos: Alexander Hosch

Goethe taucht im Urmeer

 

Als ich im Goethehaus Weimar die Aufsicht bitte, eine der Schubladen in den Sammlungsschränken zu öffnen, muss ich sofort an die Alpen denken und hoffe, hier ein steinernes Souvenir zu finden. Doch sie schüttelt verlegen den Kopf. Das habe so lange niemand mehr getan, sie können mir nicht sagen, was in den Schubladen sei. Wir erfreuen uns also nur an den in den verglasten Aufsätzen sichtbaren Schaustücken aus Goethes geowissenschaftlicher Schatzkammer, aber eines wird auf unserem Rundgang durch das überraschend behagliche Domizil am Frauenplan immer offensichtlicher: Dieser Mann war als Universalgelehrter ebenso bedeutsam wie Leonardo. Behauptet zumindest meine Freundin S., mit der ich durch die von der milden Spätsommersonne zum Leben erweckten Räume streife. Kennen den Weimarer Geheimrat und Dichterfürsten weltweit ebenso viele Menschen wie den Maler der „Mona Lisa“? Wer weiß das schon? Mich interessiert nun aber doch sehr, warum sich der berühmte Italienreisende in die Alpen verliebt hatte: Einfach weil er sich als leidenschaftlicher Geologe und Mineraloge nicht sattsehen konnte an den „grauen Kalckfelsen“ und „höchsten weisen Gipfeln auf dem schönen Himmelsblau“.

Im Herbst 1786 reist er aus dem Norden Richtung Rom und macht sich zwischen München und Bozen unermüdlich Gedanken über den Aufbau der Alpen. (Auf dem sogenannten Goetheweg können ausdauernde Fans auf seinen Spuren von München nach Verona fernwandern.) Als Neptunist ist er davon überzeugt, dass alle Gesteine durch Auskristallisation aus dem Urmeer entstanden sind. Vulkanischen Ursprungs könne der Bozener Quarzporphyr nicht sein. Ja doch, auch ein Genie darf sich irren.

Ab den 1780er Jahren bis zu seinem Tod am 22. März 1832 auf dem Bett seines Weimarer Schlafzimmers vertieft sich Goethe in die Welt der Gesteine und Mineralien, baut thematische Sammlungen auf. Tausende Fundstücke trägt er selbst zusammen und verwahrt sie im blassgrün getünchten privaten Arbeitsbereich (Grün, schreibt Goethe in seiner Farbenlehre, verschaffe dem Auge „reale Befriedigung“) sowie im roten „Steinpavillon“ am Rand seines Bauerngartens.

Derart nachhaltig glüht die Mineralienpassion des wissensdurstigen „Faust“-Schöpfers, dass 1806 der Goethit nach ihm benannt wurde: ein rostbraun schimmerndes und manchmal regenbogenfarben irisierendes Eisenerz, dessen langgestreckte Kristalle wie Nadeln aus dem Gestein wachsen. Goethit ist häufig mit anderen Mineralien vergesellschaftet – so stabil und disziplinübergreifend  stelle ich mir die Denkfreude des Universalgelehrten vor. Womöglich hat meine Freundin einfach recht.

Text und Fotos © Alexandra González

 

Auf den Gipfeln der Moderne

Bis zu acht Personen bietet Charlotte Perriands „Tonneau“-Hütte Unterschlupf. Entwurf von 1938, realisiert 2012

Spätentschlossene haben nur noch wenige Tage Zeit, um im TGV nach Paris zu sausen und sich in der Ausstellung „Charlotte Perriand: Inventing a New World“ (Fondation Louis Vuitton; bis 24. Februar 2020) von einer Pionierin der modernen Alltagswelt den Kopf verdrehen zu lassen.

L‘ Art de vivre?  Hat diese Stilikone komplett umdefiniert. Erdenschweres wird bei ihr federleicht, Kantiges geschmeidig, Kühles wohlig warm, Eckiges passt ins Runde. Und im Mittelpunkt steht immer der Mensch.

Mit ihren Savoyer Wurzeln trug die weltläufige Architektin und Designerin die Alpen im Herzen. Ihre Passion für das Skifahren und Bergsteigen spiegelt sich in etlichen in der Retrospektive aufgefädelten Projekten wieder und trieb sie an den Wochenenden regelmäßig aus dem Pariser Atelier: „Wir brachen freitagabends zum Jura oder in die Alpen auf und kehrten montagmorgens in das Atelier zurück, nicht immer in guter Verfassung, aber glücklich.“

Modell des Ski-Resorts Les Arcs. Fotoprojektion: Die zur offenen Landschaft hin ausgerichtete Apartmentanlage
Schirm oder Karussell? Dachkonstruktion der „Tonneau“-Schutzhütte

Perriand plante für eine Dutzend Menschen ebenso virtuos wie für Abertausende. So präsentiert diese Schau ihre in der Konstruktion an ein Karussell erinnernde „Tonneau“-Schutzhütte, die 1938 entworfen und 2012 von Cassina realisiert wurde – ebenso wie die französische Skistation Les Arcs (1967-1989). Den Massentourismus domestizierte Perriand, indem sie die lichtdurchfluteten Apartmenthäuser bogenförmig in die Landschaft integrierte und von jeder der zahlreichen Wohneinheiten einen unverstellten Blick in die Berge ermöglichte.

Übrigens, eine Handvoll Personen würde ausreichen, um die Refuges im Nu aufzubauen. Selbstverständlich packte Charlotte Perriand immer mit an (Foto unten).

Text und Fotos © Alexandra González

www.fondationlouisvuitton.fr/en/exhibitions/exhibition/charlotte-perriand.html

 

Nach Castello di Rivoli

Egal wie man in Turin landet – per Flugzeug, Auto oder Zug: Der Weg von München aus ist immer voller Alpenberge. Denn diese Stadt liegt noch näher an den weißen Riesen als München. Und 30 Kilometer westlich, schon in Richtung Sestriere, Aostatal oder anderer Turiner Haus-Skiberge, versteckt sich in den Hügeln ein Backsteinschloss von Filippo Juvarra, das nie fertig wurde. Der Grund: Es war so versailleshaft teuer, dass selbst die Herrscher von Savoyen am Ende nicht mehr zahlen konnten. Die Gipfel dahinter ragen davon unbeeindruckt seit 200 Jahren hoch. Gigantisch nah.

In der Barockruine aber ist – seit man sie 1984 in Form gebracht hat – Italiens ältestes Museum für zeitgenössische Kunst zuhause. Die grandiose Sammlung – dirigiert von der Ex-Documenta-Leiterin Carolyn Christov-Bakargiev – breitet sich in original stuckierten, aber sonst komplett ausgeräumten Hallen aus und gilt als die beste der Welt, was Italiens Arte Povera angeht (also Jannis Kounellis, Mario Merz, Michelangelo Pistoletto, Giuseppe Penone, Roberto Burri und Co). Und sie ist zumindest erstklassig, was Minimal Art, Land Art und alle Konzeptkünste angeht, die zwischen 1960 und der Gegenwart entstanden. Aktuell stellen Hito Steyerl und Anri Sala aus.

Dem Castello zugeteilt ist seit wenigen Wochen – und das ist ganz und gar unglaublich – eine nur 500 Meter entfernt liegende Schatzkammer der Kunst: die Collezione Cerruti. Bis vor kurzem war das eine Privatvilla. Doch Signor Cerruti vermachte alles an die Öffentlichkeit. Mit dem Shuttle fährt man jetzt in zwei Minuten vom Schloss zur Villa. Drin hat man dann etwa eine Stunde in kleiner Runde. Wofür? Für tausende Kunstschätze – Möbel, Bücher, Gläser, Porzellan, Skulpturen, Gemälde – die nach Quellen der New York Times zusammen 600 Millionen Euro wert sein sollen. Darunter finden sich – auf vier Etagen und 400 Quadratmetern – bestens gesicherte Goldgrundtafeln der frühen Renaissance, Werke von Renoir, Dutzende Arbeiten von Boccioni, Severini, Morandi, de Chririco, Fontana und auch gleich noch von Kandinsky, Klee und Picasso. Aber kaum verlässt der Gast diese Pracht und steht, davon noch ganz benommen, im Garten, übernimmt sofort wieder die alpine Gipfelsilhouette das Regiment, die hier als ständige Dramakulisse funktioniert.

Text und Fotos: Alexander Hosch

https://www.castellodirivoli.org/mostra/

Die rot-weiß-rote Dramaqueen an der Inntalautobahn

#11     

Und schon wieder dran vorbei gefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es Bauwerke, die jeder zu kennen glaubt, obwohl kaum einer je dort angehalten hat. Wir haben sie besucht.

Objekt   Klosterkirche zum Heiligen Karl Borromäus / Ort   Volderwaldstraße 3, A-6060 Volders, Tirol /  Koordinaten  N 47° 16.970’  E 011° 33.215’ / Bauzeit   1620–54 / Bau-Grund   Die Pest kann uns mal! / Stil   früher Autobahn-Manierismus / Aktuelle Nutzung  Kirche des Servitenordens / Öffnungszeiten  tagsüber; Messe Fr 7 Uhr, So + Feiertage 10.30 und 18.30 Uhr / Schönster Augenblick   zehn Minuten vor Sonnenuntergang

Warum man immer dran vorbeifährt:   Hinter Hall wird die A12 durch einen Lärmschutzwall fast zur Röhre. Plötzlich poppt ein Kranz bauchiger Kapellen neben der Fahrbahn auf. Zu spät…

Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss!   Die rot-weiß-rote Karlskirche wurde mitten im Dreißigjährigen Krieg vom Arzt Hippolytus Guarinoni zu Ehren des 1610 gestorbenen Mailänder Pestheiligen Karl Borromäus gebaut. Kaiser Rudolf unterstützte ihn. Sie ist ein rares Meisterwerk des Manierismus nördlich der Alpen. Dieser Übergangsstil von der Renaissance zum Barock kultivierte Übertreibungen – hier sind es die drei Kapellen, die einander wegzudrücken scheinen. Guarinonis Grundriss ist stark vom etwa zeitgleich erbauten Petersdom in Rom inspiriert. Der Papst sollte Augen machen! Der größte Schatz hier, neben dem Kuppelfresko, ist die Pietà (1707) von Andreas Damasch, links vom Eingang („Brugg’n-Mutter“). Die Serviten sind Mariendiener. Darstellungen der Schmerzvollen Maria, deren Verehrung auf die große Pest 1347–52 zurückgeht, sind typisch für den Orden.

Wie man hinkommt:  Die A12 Richtung Innsbruck in Wattens verlassen, auf der Bundesstraße bis Volders. In Gegenrichtung zwischen Hall und Wattens am Autobahnparkplatz hinterm Lärmschutzwall raus. Ganz vorn durchs Gebüsch steigen. Daneben liegt die Kirche.

(copyright für Idee, Text und Fotos: Alexander Hosch & Sabine Berthold)

 

 

Le Silencieux

Als Drehort sind die Alpen einsame Spitze. Doch nicht jedes Werk, das hier entstand, wird auch als Bergfilm wahrgenommen. Wir stellen Fundstücke abseits des klassischen Genres vor, vom Klischee des Helden im Fels befreit: Heimlicher Alpenfilm #10

Der Kalte Krieg, Spionage, Verrat – all die Geheimniskrämerei etablierte ein eigenes Filmgenre, den Agententhriller. Nach einer Hochphase in den Sechzigerjahren mit James Bonds Gentleman-Kapriolen und der klaren Freund-Feind-Logik dieser bipolaren Eiszeit, tauchte 1973 ein wunderbar melancholisches Gegenstück auf: In „Le Silencieux“ – die erste Zusammenarbeit des Regisseurs Claude Pinoteau mit Lino Ventura – gibt es auf beiden Seiten nur noch Feinde. Ventura spielt den französischen Physiker Clément Tibère und schlüpft einmal mehr in die Paraderolle des schweigsamen Machers.

Als Spielball der russischen und britischen Geheimdienste gerät Tibère in ein existenzielles Dilemma. Vor 16 Jahren vom KGB entführt, seitdem unter falscher Identität in Moskau, jetzt wiederum in den Fängen des MI6, kann er sich nur mit der Preisgabe von Namen russischer Agenten freikaufen. Aber was heißt schon Freiheit, wenn einem der KGB auf den Fersen ist? „Ich weiß, dass sie mich überall suchen, dann sterbe ich lieber im heimischen Wald“, beschreibt dieser Mann ohne Vergangenheit und ohne Zukunft knapp sein Schicksal. Nun nimmt er es selbst in die Hand.

Die Ökonomie der Worte, Gestik und Mimik hat Ventura bekanntlich perfektioniert und diese Begabung entfaltet sich vollkommen in seinem Gesicht, wenn Tibère nach 16 Jahren in einem Bistro erstmals wieder ein Gläschen Côtes du Rhône trinkt. Mehr Ruhe gönnt der Film ihm nicht. Es ist eine harte, atemlose Jagd, weichgezeichnet nur vom typischen Sfumato der Siebzigerjahre-Bilder, in Zügen, gestohlenen Autos, hinter den fadenscheinigen Vorhängen von Provinzhotels. Seine Flucht führt ihn an den Alpenrand nach Genf und Grenoble. Doch der heimische Wald, das wird für Tibère der Col de Gleize nördlich von Gap.

In diesem nervösen, hochspannenden Film zeigt die Kamera die Landschaft nun erstmals in der Totalen. Der Herbst hat sich auf die Flanken der Dauphiné-Alpen gelegt. Tibère scheint den Häschern nicht zu entkommen und blickt dem Tod ins Auge. Ohne jedes Pathos hat Ventura die Tragik seiner Figur ausgereizt. Großes Schauspielerkino, für das er die dramatische Kulisse der Berge eigentlich nicht bräuchte.

Alexandra González

Ich - Die Nummer 1

„Ich – Die Nummer eins“ heißt der Film in der deutschen Fassung (Tobis). Sie ist als DVD über Amazon erhältlich.

 

Im Spiel der Wellen

Steine klopfen – manche entspannen sich am Wochenende, indem sie urzeitliche Fossilien aus jahrtausendealten Erdschichten ins Licht der Welt zurückbefördern. Eine ähnliche Schatzsuche ist jetzt in der Ausstellung „Radiophonic Spaces“ mit 210 ausgewählten Musikstücken, Hörspielen und Geräuschkulissen aus 100 Jahren Radiogeschichte inszeniert. Sie galten als verschollen oder waren im – für die Allgemeinheit unzugänglichen – Radioarchiv der Bauhausuniversität Weimar quasi im Expertenzirkel gefangen, ehe ein Team aus Forschern, Technikern und Künstlern jetzt daraus ein Vergnügen für alle bereitete.

    In Basel ist diese “Hör-Schau“ mit Soundparcours jetzt zur Premiere angerichtet – in direkter Nachbarschaft zu den auratisch hereinwirkenden kinetischen Skulpturen von Jean Tinguely (1925-1991), die ja oft selbst Töne oder Lärm erzeugen. Man läuft im Tinguely Museum gewissermaßen als seine eigene Sendersuchnadel durch die große Halle, die extra zum Sound-Lab umfunktioniert wurde. Die komplett dezente Ästhetik der Schau wird lediglich von antik anmutenden Sende- und Empfangsinstallationen, einigen Corbusiersesseln, Bildschirmplattformen sowie den Besuchern mit ihren vorprogrammierten Smartphones und Kopfhörern bestimmt, die durch die Wellenlandschaft driften. Musik und Frequenzrauschen, Klänge und Geräusche gehen über alles, keine Äußerlichkeit steht ihnen im Weg. Durch ihre Bewegungen und etwas Smartphonetechnik suchen und finden die Museumsgäste die auf je anderen Wellenlängen an vorbestimmten Plätzen verorteten Hörbeispiele aus der Geschichte der Radiokunst: Je nachdem, welche vorarrangierte Frequenz man mit dem Spezial-Smartphone passiert, kann man etwa Paul Hindemiths sonst unzugängliche, 1930 in der Berliner Rundfunkversuchsanstalt aufgenommene „Grammophonplatteneigene Stücke“ vernehmen. Oder experimentelle Avantgarde-Radiophonie mit frühen „Scratches“ des Bauhauslehrers Laszlo Moholy-Nagy, 1923 am Staatlichen Bauhaus Weimar aufgenommen und kürzlich von einem spanischen Professor rekonstruiert. „Imaginary Landscapes“ von John Cage sind im Angebot, Sprech-Dada mit Ernst Jandl und andere einmalige Beiträge – wie eine 1950 von einem Journalistenteam des Radiostudios Lausanne begleitete, akustisch dokumentierte Matterhornbesteigung durch Walliser Bergführer. So schön schlägt alpine Hoch-Kultur Wellen in Basel am Rhein.

    Das Thema wirkt nur auf den ersten Blich wie aus der Zeit gefallen. Denn durch die verspielte Anlage dieser faszinierenden Ausstellung bekommt das fordernde intellektuelle Setting viele schöne Fun-Aspekte: Die Besucher wirken wie Pokemon-Go-Spieler, wenn sie auf der Suche nach der Radiokunst verstrahlt durch die Schau gehen. Sie können manches für später speichern – und so quasi liken, was ihnen gefällt. Eine 14-teilige Aktionsplanung mit Wochenthemen wird bis Ende Januar die ganze Stadt in das Projekt intregrieren – Soundwalks sind dabei, Hörexpeditionen, eine Funkwoche für alle und sogar eigener Radiobau. Also von wegen, Radio ist tot, denn jetzt gibt es ja Podcast.                Text und Fotos: Alexander Hosch

Radiophonic Spaces, Museum Tinguely, Basel, 24. Oktober bis 27. Januar, www.tinguely.ch. Im Bauhausjahr 2019 wandert die Schau nach Berlin (Haus der Kulturen) und Weimar.

Raumwunderland

In den letzten Monaten haben mein Blog-Kollege Alexander und ich unsere Köpfe ungewöhnlich selten zusammengesteckt. Dies lag ein wenig daran, dass er sich in ein weiteres seiner Buchprojekte vergraben hatte. Nun ist „Winzig alpin“ endlich erschienen: Alexanders handliches Kompedium der hoch oben gelegenen Tiny Houses, Almhütten, Baum- und Bushäusschen, Refugien, Konzertboxen etc. im Mini-Format.

Von meinem Kompagnon darf man hochinformative, gründlich recherchierte Texte mit einem gewissen Twist erwarten wie auch architektonische Entdeckungen. Wer kennt schon Raniero Campigottos Starlight Room in den Dolomiten, ein nur elf Quadratmeter messendes gläsernes Hotelzimmer unter den Sternen, das sich um seine eigene Achse dreht? Und wer ist zu Marcel Breuers Skifahrer-Kapelle in Flaine, Haute Savoie gepilgert, seit sie 2014 saniert wurde? Sabine Berthold – Dritte in unserer Alpine-Kultur-Combo – lässt sie mit ihren tollen Fotografien naherücken.

Natürlich haben es mir vor allem die Kunst-Stationen in diesem Buch angetan. Allen voran James Turrells Skyspace am Engadiner Piz Uter, wo täglich in einem subtilen Lichtspektakel die Dämmerung transzendiert wird. Gerne würde ich auch einmal in das verrückt-luftige, durch die Schweiz vagabundierende Null Stern Hotel der Konzeptkünstler Frank und Patrik Riklin einchecken. Es besteht aus kaum mehr als einer einzigen Wand, einem Doppelbett, Nachttischlein, Lampe und einem alten Röhrenfernseher, der Witze aus der Region ausstrahlt und dem Housekeeping zur Kommunikation dient.

Wir allen wissen, zu welchem Rummelplatz die Alpen in den letzten Dekaden verkommen sind. So ist das womöglich die schönste Botschaft dieser Publikation: Es gibt sie noch, die widerspenstigen Bauherren, die diesem Wahnsinn mit nachhaltig konzipierten, fantasievollen Raumwundern entgegensteuern.

Alexandra González

Alexander Hosch, „Winzig alpin. Innovative Architektur im Mini-Format“, DVA, 224 Seiten mit 230 Farbabbildungen, Hardcover, 17,0 x 17,0 cm, € 30,00 [D] / € 30,90 [A] / CHF 41,50, ISBN 978-3-421-04093-0

Bildnachweis: bureau A, Hotel Castell, Alexander Hosch, Atelier für Sonderaufgaben

 

Das Wolkenschiff hinterm Salzkammergut

Und schon wieder dran vorbeigefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es überraschende neue Architekturen. Und schöne ältere Bauten, die jeder zu kennen glaubt, obwohl kaum einer je dort angehalten hat. Wir haben sie besucht.   #9

Objekt  Wunderkammer des Brotes – Paneum / Ort  Kornspitzstraße 1, A-4481 Asten /  Koordinaten  48°12’57’’ N, 14°24’35’’ O / Bauzeit  2016/17 / Bau-Grund  Wunder à la Oberösterreich: Es ist ein silberner Laib erschienen!  / Aktuelle Nutzung  Museum der Brotgeschichte; Besichtigungen (demnächst auch für Gruppen); Seminare / Öffnungszeiten  Montag bis Samstag 10-18 Uhr / Schönster Augenblick  Wenn hinter dem Silberschiff orangefarben die Sonne untergeht…

Warum man immer dran vorbeifährt…   In diesem Fall, weil es ganz neu ist: Plötzlich ploppt direkt neben der Autobahn ein Raumschiff auf. Und – mal ehrlich – wer fährt schon nochmal zurück, wenn die nächste Ausfahrt erst ein paar Kilometer weiter winkt?

Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss!  Wegen des Dramas. Wunderkammer des Brotes – das hört sich schon ganz anders an als zum Beispiel: Brotmuseum. Und es sieht auch anders aus. Wie ein silbern gefärbter Brotteig. Wie ein Sahnehäubchen. Oder …wie die Arche Noah? So nennt der Architekt, Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au seinen jüngsten Bau. Na gut, lassen wir so durchgehen. Aber noch besser passt: Wolkenschiff. Seit fast 50 Jahren spielt das Wiener Architekturbüro mit Bildern von Wolken. Zuerst nur als Kunstutopie. Dann seit den 1990ern immer öfter als Bau-Form. Und seit ein paar Jahren auch auf der Website. So kündete vor vier Wochen der sogenannte Cloudletter #33 von der Vollendung des Paneum, direkt neben der Autobahn in Asten bei Linz. In Auftrag gegeben hat es Peter Augendopler, Erfinder des Kornspitz und Chef von Backaldrin („The Kornspitz Company“). Er hat Filialen in 50 Ländern der Erde. Wir treffen ihn vor seinem neuen Bauwerk. Weil es ihn sogar am Wochenende wie auf Schienen zu den 1200 Objekten aus 9000 Jahren Brotgeschichte treibt, die er gesammelt hat. Er zeigt sie nun – ganz im Stil eines barocken Kuriositätenkabinetts – seinen ersten Besuchern, bald werden es mehr sein. Uns zeigt er den kleinen Film über die Erfindung dieses Baus, die Stahlspiraltreppe, die unters Dach führt (und an Frank Lloyd Wrights Guggenheim Museum in New York denken lässt), eine ägyptische Korn-Mumie (die als getreidige Grabbeigabe diente), mittelalterliche Schandmasken für ruchlose Geiz-Bäcker… Und die einzigartige Freeform-Holzkonstruktion, die auf einer Box sitzt und ohne Stützen und Balken die spektakuläre Metallkuppel trägt. Draußen an der Fassade erklärt er uns noch, wie es gelingt, dass die 3000 Edelstahlschindeln scheinbar den Himmel erzittern lassen. „Ich wollte eine Architektur, die mich fordert und die noch waghalsiger ist, als ich sie mir vorstellen konnte“. Die ist ihm gelungen.

Wie man hinkommt    Von der A 1 aus Salzburg / Linz oder Wien die Ausfahrt Asten nehmen, auf der Landstraße Richtung St. Florian etwa einen Kilometer nach Süden fahren, links abbiegen und der Beschilderung zur Firma Backaldrin folgen. Dort steht das Paneum neben dem Headquarter.

(copyright Idee, Text und Fotos: Sabine Berthold & Alexander Hosch)