Heimatarchitektur… ?

IMG_9162 (768x1024)IMG_9127 (768x1024)   … ist eigentlich ein Begriff, bei dem mein emotionales Ich sofort reflexartig Reißaus nimmt. Der Ausweg: Ich denke fest an Steven Holl. Der vignette_2_stadtstammt aus New York City und hat auf seine Baustellen in der Wachau vor allem sich selbst mitgebracht: Seine Poesie, seine Musikalität, seine Lust am Aquarellieren, seine zeitgemäße Avantgarde. Nun ist – inmitten von Trauben für Zweigelt und Grünen Veltliner – vor ein paar Jahren in Langenlois bei Krems zuerst ein fruchtiges Weingut herangereift. Und danach noch ein smaragdiges Hotel.

Von den Traditionen Niederösterreichs schnitt sich Holl nur die zwei Scheiben ab, die er wirklich haben wollte: Erstens fing er die faszinierenden Himmelsbilder über der Donautaler Reblandschaft mit riesigen Glasfenstern ein – sie dringen jetzt, gerahmt von den Leisten der Lochblechfassade, DSC_0301 (1024x681)in jede einzelne Gästesuite. Aquarelle der Natur. Zweitens nahm er die Grundrisse der berühmten Felsenkeller als Blaupause. Nach ihrem Muster kerbte Holl die Einschnitte für die Fenster und für die Fassadensprünge seiner Weinwelt aus Aluminium unweit der Alpen ein, die dadurch fast so wild zerklüftet wirkt wie der Großglockner-Sockel. Außerdem ließ der Mann, der mal ein Wohnhaus auf Long Island „Writing With Light House“ genanIMG_9036 (768x1024)nt IMG_9033 (768x1024)hat (weil die Sonne den weißen Innenwänden rund um die Uhr neue Schatten zeichnet), die Umrisse der langgezogenen, bis zu 900 Jahre alten Kellergänge in eine abstrakte Zeichensprache übersetzen und hinterleuchtete Hohlreliefs basteln. Sie adeln jede Hotelzimmertür zum individuellen Kunstwerk.

Die Amerikaner haben für solche einheimischen Elemente den Begriff „vernacular architecture“ erfunden. Auch Frank Lloyd Wright und Mies van der Rohe arbeiteten zu Zeiten und bei manchen Bauaufgaben damit. Vernacular in der modernen Architektur bedeutet: Man nimmt etwas (aber nicht zu viel) im besten Sinn Bodenständiges, Ehrliches von dem Ort auf, an dem baut, und verbindet es mit dem eigenen Stil. So biedert sich ein Architekt nicht an, respektiert aber die geliebte, kostbare Vergangenheit der Anderen. Wie die uralten Langenloiser Felsenkeller, zu deren filigranen Labyrinthen Holls silbernglänzendes Felsmassiv mit Alublechhaut Zutritt gewährt. Und in denen wohl jeder Wachauer schöne Erinnerungen findet. –  So eine Heimatarchitektur? Immer gern.       Alexander Hosch

Zwei weitere Häuser von Steven Holl findet ihr in meinem Buch „Traumhäuser am Wasser“ vorgestellt:  Das private Writing With Light House auf Long Island /USA und eine Kunstsammler-Villa in Südkorea.             https://www.callwey.de/buecher/traumhauser-am-wasser/

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Die gastfreundlichste Alpenfestung

vignette_strassenrandperlen4Und schon wieder dran vorbeigefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es überraschende neue Architekturen. Und schöne ältere, die jeder zu kennen glaubt, obwohl kaum einer je dort angehalten hat. Wir haben sie besucht.  #4

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Objekt Neues altes Gotthard-Hospiz auf dem St. Gotthardpass / Adresse Fondazione Pro San Gottardo, CH-6780 Airolo / Koordinaten N 46.559167°, O 08.561667°/ Bauzeit 1623 bis 2011 / Bau-Grund  Es war mal das „Haus des Priesters“ der hier siedelnden Kapuziner / Aktuelle Nutzung  Stilvolle Übernachtungen; Gotthardkapelle integriert / Öffnungszeiten Sobald der Pass Anfang Mai offen ist – bis er im November wieder schließt; www.gotthard-hospiz.ch / Schönster Augenblick  Auf zwei Rädern über die „Tremola“ hochfahren!

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Warum man immer dran vorbeifährt: Weil jeder im Frühjahr schnell nach Italien möchte. Oder an die Seen im Tessin. Seit 1980 nehmen nur noch die Wenigsten die Passstraße.

 

Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss! Im Zug durch den Tunnel fahren kann doch jeder. Schon immer aber stiegen Reisende hier herauf. Ein mythischer Ort seit den Langobarden. Europas Hauptwasserscheide, die direkteste Alpenroute zwischen Nord und Süd. Der Aufstieg des Gotthardwegs begann um 1230. Säumer, Soldaten, Handelskarawanen, Zöllner und Postboten der Habsburger nutzten die Teufelsbrücke über die kaum überwindliche Schöllenenschlucht – und produzierten die ersten Alpen-Staus. Das Hospiz gibt es seit einem Lawinenabgang vom Monte Prosa. Kapuziner bewirteten von da an Passanten, Kaufleute und Pferdekutscher. Goethe übernachtete zwischen 1775 und 1797 gleich dreimal hier.

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Das Gästehaus auf 2090 Meter überdauerte die Zeit der ersten Automobile und immer neue Straßen – bis zum Tunnelbau 1980. Dann verlor es an Bedeutung. Jüngst bauten die straperl_gotthardBasler Architekten Miller Maranta das historischen Erbe um: Sie integrierten die alte Kapelle in den trutzigen Bau, gaben ihm ein wehrhaftes Bleidach nach dem Vorbild der Kathedralen und eine organisch-anthroposophische Form. Die neue Holzständerkonstruktion von 2011, typisch für den Kanton Uri, macht aus dem Innenraum eine Fichtenholz-Wohlfühllandschaft. Mit Traumblicken und integrierter Urgemütlichkeit.

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Wie man hinkommt: Im Winter gar nicht. Nach der Öffnung der Passstraße – in der Regel und je nach Wetterlage ab Anfang Mai – per Auto, Rad, Motorrad, Bus, Taxi oder Camper von Andermatt (Uri) oder Airolo (Tessin) aus.

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(copyright Idee, Text und Bilder: Sabine Berthold & Alexander Hosch)

Grün-Blauer Reiter

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Heinrich Campendonk, der jüngste Maler des Blauen Reiter, lugt kaum aus dem Schatten von Marc, Macke, Münter, Klee und Kandinsky hervor – so berühmt sind die Anderen. Das könnte sich jetzt ändern: Am 4. Juni eröffnet das alte Penzberger Stadtmuseum. Mit Anbau und unter neuem Namen.

Man kann dort nun viele kleine Feinheiten entdecken. Wie das ins Treppenhaus integrierte farbige Campendonk-Glasfenster, die typischen schmalen ak_dsc_0193bExpressionistenrahmen aus Weichholz (einer soll sogar von „Brücke“-Kollege Ernst Ludwig Kirchner stammen) oder die realen Berge Benediktenwand und Herzogstand im Hintergrund. Sie geben der Kunst bei jedem Wetter eine charmante Alpenkulisse.

ak_dsc_0215bausschnitt25Mit einer dunkeltonigen, silbern aufblitzenden neuen Klinkerziegel-Architektur, welche die Kubatur eines bestehenden Bergarbeiterhauses verdoppelt, stellt sich die ehemalige Grubenstadt in den Voralpen nun endlich der alten Verbindung zum Blauen Reiter. Die höchst speziellen Penzberger Koloniehäuschen und ihre hügelige bäuerliche Umgebung sind als Staffage auf vielen Gemälden, Zeichnungen und Glasbildern Campendonks zu sehen, von dem die Stadt seit Kurzem mehr Arbeiten als jede andere besitzt – um die 300.

1911 luden die Münchner Avantgardisten den Krefelder Campendonk (1889-1957) zu sich nach Bayern ein. Bis 1922 lebte und arbeitete er in den Voralpen, erst im nahen Sindelsdorf, dann in Seeshaupt am Starnberger See. ak_dsc_0139b
Besonders Klee war ein enger Vertrauter. Campendonk stilisierte seinen Expressionismus bis ans Lebensende, sichtbar beeinflusst von den älteren Malerfreunden, als naiv-geheimnisvolle, oft in grün-blaues Dämmerdunkel getauchte Naturwelt. In den melancholischen, bisweilen auch irgendwie chagallesken Szenerien kommen zu jeder Epoche Mond und Sterne, Kühe, Ziegen, Marionettenfiguren oder liegende Akte vor. Zu sehen und zu schätzen ab sofort 50 Kilometer südlich von München.    Alexander Hosch

Ab 4. Juni: Museum Penzberg – Sammlung Campendonk, Karlstraße 25, 82377 Penzberg; www.museum-penzberg.deak_dsc_0145bk

Nach Èze

DSC_0018Im Nid d´Aigle, dem Adlernest hoch über der Côte d´Azur, lässt Patrick auf alpinen 420 Metern zum Rosé eine Socca servieren, den typischen Pfannkuchen aus Kichererbsenmehl, mit kleinen mediterranen Spezialitäten darauf gebreitet – Salade Nicoise, mit Spinat gefüllte Babycroissants, Gambas. fluchtbergfoto_300Ein lokales Likörchen hinterher und noch ein Café expres. Dann steigen wir zu zweit die letzten Schritte in den Exotischen Garten von Èze im Departement Alpes-Maritimes, der eine Festungsruine umgibt und unmittelbar über dem Restaurant liegt. In dem Park besucht Patrick immer seinen schwarzen Kater. Vor einiger Zeit hat er sein Zuhause hundert Meter weiter unten verlassen, um hier im Paradies zu leben. Man sieht von dem 1949 angelegten Park aus über die halbe Riviera, und manchmal bis St. Tropez und nach DSC_0020Korsika. Agaven, Aloen, Palmen, Kakteen aus Neuseeland, Süd- und Mittelamerika wurden damals von Jean Gastaud, dem Schöpfer des berühmteren Nachbargartens von Monaco angepflanzt, eine superbe botanische Kollektion von Sukkulenten, die zwischen 15 später installierten Mädchenskulpturen heranwachsen. Wüstenpflanzen, darunter das Meer und die drei Corniches, links Monaco, rechts das Cap Ferrat. Wunderschön und äußerst bizarr. Der Kater ist aber wegen der interessanten Mahlzeiten umgezogen.      Alexander Hosch

Le Jardin Exotique d´Èze, Tel. +33 4 93 41 26 00, www.eze-tourisme.com

 

Die silberne Kobra von Innsbruck

vignette_strassenrandperlen4Und schon wieder dran vorbeigefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es überraschende neue Architekturen. Und schöne ältere, die jeder zu kennen glaubt, obwohl kaum einer je dort angehalten hat. Wir haben sie besucht.  #3

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Objekt
Bergiselskischanze / Adresse Bergiselweg 3, A-6020 Innsbruck / Koordinaten  N 47°14.810’, O 011°23.987’ / Bauzeit  2001-2002 / Bau-Grund   Von wegen, Innsbruck liegt hinterm Architektur-Mond! / Aktuelle Nutzung  Skisprungwettbewerbe, Training, Besichtigungen (Kombikarte Schanze/Museum TirolPanorama); tagsüber Café-Restaurant in der Kanzel, abends privat zu buchen / Öffnungszeiten  www.bergisel.info / Schönster Augenblick  Immer die nächste Vierschanzentournee (meist 3./4. Januar)

Warum man immer dran vorbeifährt:  Weil man sich ja doch wieder nicht stilgemäß herunter zu fliegen traut! Jeder Aufstieg über 455 Stufen ist ein Sieg. Aber jeder Abgang ohne Ski an den Füßen eine kleine Niederlage.

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bergiselschanzeWeshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss: Jetzt, wo bald erneut die Urlaubskarawane über den Brenner zieht, fällt sie allen hoch über der Autobahn wieder groß in den Blick: Die Bergiselschanze von Zaha Hadid. Zuerst musste die britisch-irakische bergisel_schanzeArchitektin von ungefähr 1975 bis 2000 lesen, man könne ihre Entwürfe gar nicht bauen. Und von 2001, kaum dass die Ersten standen, bis 2016 schrieben dann die Chauvis und Bau-Spießer: bääh, Spektakel, das ist ja eine Stararchitektin, und auf den Häusern fehlt der Giebel. Vor Kurzem ist die einzige berühmte Frau im Architekturzirkus mit nur 65 Jahren gestorben. Sie war das schillerndste Talent der Bauwelt, und zusammen mit David Bowie der größte Verlust für die Kunstwelt in diesem Jahr. – Gut also, dass Zaha Hadid zu Lebzeiten immer brav gebaut hat, wie sie wollte. Bei uns im Familienauto freuen sich jedenfalls mit jeder Alpenüberquerung alle als wär´s der Eiffelturm, wenn die silberne Kobra auftaucht, schemenhaft zuerst, dann schillernd, dann immer klarer. Früher sahen Skischanzen wie Kreuzungen aus Fernsehturm, Hochspannungsmast und Kohleförderanlage aus. In Innsbruck dagegen spielte die Mathematikerin und Dekonstruktivistin Hadid elegant mit dem Eindruck von Instabilität, mit extremen Winkeln und Überhängen. Das ist auch für jeden Besucher eine schwindelerregende Sache – wie eine Achterbahnfahrt. Schon der sportive Aufstieg zu Fuß oder alternativ die Fahrt per Schrägzug an den Schanzenrumpf und im Fahrstuhl hoch zum Turm-Café sind Erlebnisse. Die immer leicht verkippte Rundum-Aussicht von der Terrasse über Stadt, Berge und Inntal ist dann der eigentliche Clou. Wer ganz viel Glück hat, erlebt, wie unterhalb seiner Frühstücks-Tasse trainierende Meisterspringer aus der Luke gleiten. Und womöglich wird im Januar Michael Hayböcks neuer Schanzenrekord (138 Meter) gleich wieder geknackt.

Wie man hinkommt: Statt auf die A 13 Richtung Brenner abzubiegen, fährt man von der Inntalautobahn bei Innsbruck-Mitte raus. Von da über Klostergasse, alte Brennerstraße und Hohlweg auf den Bergiselweg. Parkplatz beim Kaiserjägermuseum. Von hier zum Stadion fünf Gehminuten.

(copyright Idee, Text und Bilder: Sabine Berthold & Alexander Hosch)

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Pflanzenfundstück

johanniskrautJohanniskraut, 2013

Die elegante Fotoserie „Florilegium“ von Sabine Berthold wird 2016 weitergehen. Sie ist eine Sammlung von weitem Begriff – nicht nur, weil die Digitalprints (Größen 20 x 30, 30 x 45, 60 x 90 cm) sowohl Blüten, Blätter und vignette_alpenstaunenKräuter als auch Stängel, Halme, Samenkapseln, Früchte oder Ausschnitte davon – pars pro toto – zeigen. Zu den vegetabilen „Darstellern“ der filigranen und manchmal bizarren Stillleben gehören Mitbringsel von Freunden, Trouvaillen aus dem Urlaub und aus dem Wohnkaufhaus, am Wegrand gefundene oder speziell gesuchte Pflanzen, Blumen, die vom Balkon auf die Großstadtstraße gefallen sind, Ableger aus dem Garten, florale Fundstücke, die am Gelände der Großmarkthalle zwischen nicht mehr gebrauchten Gleisen heranwuchsen, exotisches Fallgut aus dem Botanicum… Nicht alle sind aus den Alpen oder Voralpen. Aber viele. Wie das Johanniskraut (oben) vom Südufer des Starnberger Sees, sozusagen der nördlichste Quadratmeter des Murnauer Mooses.   ah

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Eukalyptus, 2015

Mehr Motive:  http://www.sabine-berthold-fotografie.de/

Das Glitzerbonbon von Genf

vignette_strassenrandperlen4Und schon wieder dran vorbeigefahren! Entlang der Alpen-Magistralen gibt es überraschende neue Architekturen und alte, die jeder zu kennen glaubt, obwohl kaum einer je dort angehalten hat. Wir haben sie besucht.  #2

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Objekt Vacheron Constantin 1 und 2, Hauptquartier und Uhrenmanufaktur / Adresse Chemin de Tourbillon 10, CH-1228 Plan-les-Ouates bei Genf / Koordinaten N 46.1661   O 6.1000 / Bauzeit 2002-2014 / Bau-Grund  Die älteste existierende Uhrenfabrik der Welt wollte endlich auch mal die neueste Uhrenfabrik der Welt sein / Aktuelle Nutzung   Management und Produktion! Leider muss, wer rein will, zur Führung geladen sein. Sonst lernt er den Werkschutz kennen – www.vacheronconstantin.com / Schönster Augenblick  Bei gewissen Sonneneinfallswinkeln irisieren die Jalousien vor der langen Glasfront in Regenbogenfarben.

Warum man immer dran vorbeifährt:  Nur ein Wimpernschlag noch, dann kommt die französische Grenze. Wer nichts von dieser Architektur weiß, passiert die Manufaktur an der Autobahn A 1 deshalb leider, ohne sie richtig wahrzunehmen.
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Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss!  Das neue Hauptquartier der 1755 gegründeten Uhrenfabrik liegt ein paar Kilometer südlich von Genf in Plan-les-Ouates, direkt an der A 1. Der berühmte, in Paris und New York praktizierende Architekt Bernard Tschumi aus Lausanne durfte noch nicht allzu viel in seinem Heimatland Schweiz bauen. Doch mit Anbruch des neuen Jahrtausends hat man ihn, der bis vor Kurzem Dekan der Architekturfakultät der Columbia University in New York war, zuhause endlich entdeckt. Er schuf hier fließende Fassaden mit einem fast nahtlos wirkenden, silbern glänzenden Metallüberzug – eine verführerische Willkommensgeste. Fast sieht es aus, als habe Tschumi einen Silberschokoladeguss über das elegante Headquarter und die flache Produktionshalle laufen lassen. Im Hintergrund die Savoyer Alpen, bis in den Frühsommer mit einem Schneerand verziert.
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Wie man hinkommt: Bei der Ausfahrt Perly (kurz hinter Genf bzw. von Frankreich aus unmittelbar hinter der Grenze) die A 1 verlassen und unter der Autobahn durch nach Plan-les-Ouates und zum Eingang der Fabrik. Wer ohnehin von der A 1 auf die 1a in Richtung Genfer Innenstadt biegen möchte, umkurvt stattdessen Vacheron Constantin automatisch und kriegt aus der Zufahrtstraßenornamentik heraus schöne Blicke im Vorbeifahren.

(copyright Idee, Text und Bilder: Sabine Berthold & Alexander Hosch)

Frühjahrsskifahren

AK_LESARCS-2Die frohe Botschaft für Frühjahrsskifahrer kommt aus Frankreich, genauer: Savoyen. Dort, wo die Skistationen der Architekturmoderne nicht unten im Tal, sondern so hoch wie möglich, zwischen 1600 und 2000 Metern, angelegt worden sind, braucht man auch im April nicht auf das kalte Feuer aus den Schneekanonen zu warten, um guten Gewissens seine Kurven zu ziehen. Das weiße Zeug ist einfach sowieso da. Manche dieser Reißbrett-Skidörfer liegen sogar auf mehr als 2300 Metern – so wie Val Thorens im größten Skigebiet der Welt, den Trois Vallées in der Tarentaise. vignette_alpenstaunenDort kann man sogar im Mai noch Skifahren. Les Arcs, etwas weiter nördlich, liegt nicht ganz so hoch – aber dafür führt dieses Skigebiet an der Aiguille Rouge im Vanoise-Massiv auf in Europa kaum schlagbare 3.226 Meter Höhe. Und meist stellt sich, gleich gegenüber des Gondelausstiegs, der Mont Blanc in den Blick. Alles ist im Frühjahr übersichtlich und klar: die Zahl der Menschen, die Aussicht, die in Savoyen stets bestens präparierten Pisten. Durcheinanderkommen kann man trotzdem – wie an der Skischaukel zwischen Les Arcs und La Plagne der Wegweiser-Schnappschuss von Anfang April (oben) beweist. Da wünscht sich der wegsuchende Pistenfuchs doch gleich in einen der vielen vollendet verständlichen französischen Autokreisverkehre zurück.  ah

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Das Bulle Café im Skigebiet bei Les Arcs 2000

Zürich, over the top

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Die Frauen, die 1971 zwischen aufstrebenden Künstlern, Hausbesetzern und feministischen Darbietungen das Modelabel Thema Selection sowie den zugehörigen Laden in der Zürcher Altstadt gründeten, wollten im Kopf so weit wie möglich weg von den Alpen. Keine Erhebung sollte ihren Horizont begrenzen. Afrika, Japan, London, Paris und Hollywood schneiderten mit, als der „Wickeljupe“, die „Kimonojacke“ oder das „Wäscherinnenkleid“ entstanden. Vorbilder waren Marlene Dietrich, Militäruniformen und die Hüte von Barbara Stanwyck oder Hedy Lamarr. Denn Thema Selection entfloh der Hippiemode mit burschikosen Frauenarbeitskleidern, die Hosentaschen hatten und aus Harris Tweed waren – aber mit Unterwäschespitze. Der Stil dieser Mode war androgyn, frivol und over the top, voller Grenzverletzungen und Irritationen.

fc_7890 Als die amerikanische Vogue das Häuflein 1974 entdeckte, wurden die Designerinnen um Ursula Rodel und Sissi Zoebeli populär. Der Laden entwickelte sich zum Treffpunkt der Kosmopoliten und Andersartigen. Ganz in der Nähe begann die arty Anarchie von Peter Fischli und David Weiss zu toben. Auch Warhol war befreundet, kaufte aber nix. Die Deneuve schon. Im nächsten Umkreis schufen weitere Künstler wie Urs Lüthi oder die Kuratorin Bice Curiger, die später die Zeitschrift Parkett gründete. Irgendwann in den 1990ern kam Thema Selection mit bunten Handdrucken, gemischt aus Folklore und Pucci, doch noch in den Alpen an: Diese wurden im Gebirgskanton Glarus geprintet.

fc_Cover fc_7875Ein künstlerischer neuer Bildband erzählt jetzt diese Schweizer Story zwischen den Gipfeln von Mode und Gesellschaft. Dick ist er und zeitschriftig – mit vielen Polaroids, Schnitten, Skizzen, Manifesten und Meinungen von wirklich allen alten Freunden. Aber sehr schön. Man freut sich über jeden einzelnen Zürcher Wilden, der dort in den letzten 45 Jahren, nicht allzufern von Eiger, Mönch und Jungfrau, sein Nonkonformistenwesen trieb. Und den Laden gibt es immer noch. (www.themaselection.ch, Spiegelgasse 16, CH-8001 Zürich)    Alexander Hosch

Gina Bucher, „Female Chic –Thema Selection / Die Geschichte eines Modelabels“, 70 Euro, broschiert, 632 Seiten, 400 Farbabbildungen, Texte von This Brunner, Elisabeth Bronfen, Sibylle Berg u.a., 22.8 × 30 cm, ISBN 978-3-905929-87-4, www.editionpatrickfrey.com

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Das Kastell am San Bernardino-Tunnel

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Objekt  Castello di Mesocco / Adresse  CH-6563 Mesocco, Graubünden / Koordinaten  N 46°22.864 ´    E 009°13.965 ́  / Bauzeit   Zirka 1050 bis 1500 / Bau-Grund  Der ideale Ort für eine uneinnehmbare Burg!  / Aktuelle Nutzung  www.castellomesocco.ch / Schönster Augenblick  Bei Sonne in den hügeligen Freiflächen zwischen Ringmauer und Ruinen (frei zugänglich)


Warum man immer dran vorbeifährt:
  Gerade hatten wir noch die Windungen der alten Alpentransversale Via Mala nebenan bestaunt, da überrascht uns die teilweise zwei- und teilweise vierspurige Autobahn 13 (E 43) mit dem langen Tunnel am San Bernardino – das „Tor zum Tessin“. Der Blick dahinter nimmt uns den Atem. Ah, das Land, wo Milch und Honig fließen. Und da, eine Märchenburg! Zu spät…

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Weshalb man nächstes Mal unbedingt hin muss:  Jeder versteht, warum schon die Menschen der Jungsteinzeit hier siedelten. Die vor einigen Jahren restaurierten Ruinen des Castello liegen auf einem mächtigen Fels im Misox. Vorburg, Kirche, Kern- und Hauptburg bilden zwischen Grünflächen eine der größten Anlagen der Schweiz. Über 300 Jahre – bis 1480 – herrschten hier die Freiherren (und späteren Grafen) Sax über das Tal. Dann kaufte ein Mailänder Condottiere das Kastell. Die neidischen Grauen Bünde besetzten es 1526. Danach verfiel es. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden einige Türme wiederhergestellt. Kunsthistorisch besonders: Reste mittelalterlicher Malerei auf Stein und ein Campanile mit Doppelbogenmotiv. Am Fuß des Burghügels steht die Kirche Santa Maria von 1050 mit ihrem großen Fresko von 1469 aus Monats- und Heiligenbildern sowie Christi Geburt und Tod. Auch sie ist relativ frisch restauriert.

Wie man hinkommt: Von Süden (Tessin) die Ausfahrten Mesocco Süd oder Nord nehmen. In der Gegenrichtung aus Chur nach dem Tunnel raus (Mesocco Nord), auf den Parkplatz neben der Autobahn, zu Fuß über die kleine Brücke und hinauf. 200 Meter nach der Chiesa Santa Maria folgt die Burg.

(copyright: Sabine Berthold & Alexander Hosch)

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